Eine Krähe sitzt auf einem kahlen Zweig

Nie wieder Hiroshima, nie wieder Nagasaki – warum wir die nukleare Bedrohung nicht vergessen dürfen

Morgen, am 6. August, ist Hiroshima-Gedenktag. Vor 80 Jahren wurde die erste Atombombe auf Hiroshima und drei Tage später eine weitere auf Nagasaki abgeworfen. Diese Gedenktage sind nicht einfach nur Zahlen im Kalender, sondern dahinter steht entsetzliches, massenhaftes Leid. Diese Gedenktage erinnern mich daran, wie zerbrechlich alles ist, was wir oft für selbstverständlich halten: Frieden, Sicherheit, Zukunft. Diese Gedenktage bewegen mich jedes Jahr aufs Neue, denn sie holen auch eine Angst zurück, die mich schon als Kind heimgesucht hat – und die heute wieder erschreckend real wird.

Die Abwürfe, die alles veränderten

Am 6. August 1945 wurde Hiroshima durch die erste im Krieg eingesetzte Atombombe zerstört. Drei Tage später traf es Nagasaki. Hunderttausende Menschen starben sofort oder an den Spätfolgen. Ganze Städte verschwanden in einer Wolke aus Hitze, Druckwelle und radioaktiver Strahlung. Befürworter der Abwürfe behaupten, diese hätten den Krieg beendet. Aber sie haben auch etwas begonnen: das atomare Zeitalter. Plötzlich wusste jeder: Mit einem Knopfdruck kann die Menschheit sich selbst auslöschen.

Die Angst meiner Kindheit

Ich bin mit dieser nuklearen Bedrohung aufgewachsen, als Kind habe ich mich gefürchtet, dass irgendwann einer den roten Knopf drückt. Und dann kam der Film The Day After, dessen Bilder mich wochenlang verfolgt und um den Schlaf gebracht haben: Pilzwolken, gleißendes Licht, brennende Städte – haben mich nachts nicht mehr losgelassen. Ich konnte kaum schlafen. Tagsüber habe ich mir ausgemalt, wo in Hamburg die Bombe einschlagen würde, ob ich überleben könnte, wo ich mich verstecken könnte. Der Film war die Illustration meiner eh vorhandenen Ängste, die mich lange Zeit begleitet haben.

Die Erleichterung, als die Mauer fiel: Das Ende der Geschichte?

Und dann kam dieser Moment, der wohl nicht nur mich mit viel Zuversicht erfüllt hat: der Zusammenbruch des Ostblocks. Das war nicht nur die deutsche Wiedervereinigung, sondern die Angst vor dem dritten Weltkrieg hat sich verflüchtigt: Abrüstung jetzt, wir brauchen keine Waffen mehr, Frieden ist möglich.

Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama schrieb damals vom „Ende der Geschichte“. Die liberale Demokratie habe gesiegt, die großen Systemkämpfe seien vorbei. Ich weiß, dass man Fukuyamas These später kritisch hinterfragt hat – aber für mich fühlte sich diese Zeit tatsächlich so an. Friedlicher, sicherer. Kein Wettrüsten mehr, Schluss mit der permanenten nuklearen Bedrohung. Die schlaflosen Nächte wurden weniger. Vielleicht naiv, hat sich trotzdem gut angefühlt.

Und jetzt: Zurück in die Bedrohung?

Doch es folgte der Jugoslawienkrieg. 9/11. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Der grauenhafte Überfall der Hamas und die schrecklichen Folgen. Und diese Liste ist nicht einmal vollständig. Vom Weltfrieden sind wir wieder weit entfernt, unsere Sicherheit war brüchiger, als ich dachte. Wenn der Präsident der USA öffentlich damit prahlt, Atom-U-Boote in Richtung Russland zu schicken – dann wird mir schlecht. Dann bin ich wieder das Kind vor dem Fernseher, das sich fragt: Was passiert, wenn einer von ihnen wirklich auf diesen Knopf drückt? Wir leben in einer Zeit, in der wieder offen über atomare Drohungen gesprochen wird. Verträge werden aufgekündigt, neue Sprengköpfe entwickelt, Machtspiele gespielt, Autokraten drohen mehr oder weniger unverblümt mit Nuklearwaffen. Die Gefahr eines nuklearen Konflikts ist so real wie seit den 80ern nicht mehr.

Hiroshima und Nagasaki verpflichten uns

Gleichzeitig verschwindet die Erinnerung an die, die es erlebt haben. Die Stimmen der Hibakusha (japanisch für die Überlebenden der Atombomben) werden leiser und werden in absehbarer Zeit ganz verstummen.

Abrüstung ist keine naive Utopie. Sie ist eine Notwendigkeit. Und sie beginnt mit Erinnerung – und mit der klaren Haltung, dass wir unsere Zukunft nicht in den Schatten eines roten Knopfes stellen dürfen. Wer heute sagt, nukleare Abrüstung sei gefährlich, irrt gewaltig. Gefährlich ist, zu glauben, wir könnten ewig mit dieser Bedrohung spielen, ohne dass sie irgendwann Wirklichkeit wird.

Ich will nicht, dass meine Kinder oder Enkel einmal so schlafen – oder nicht schlafen – wie ich nach The Day After. Ich will nicht, dass Politiker mit roten Knöpfen prahlen. Ich will, dass Diplomatie, internationale Verträge, Abrüstung und Dialog wieder selbstverständlich werden. Sicherheit entsteht nicht durch Abschreckung, sondern durch Vertrauen, Transparenz und Abrüstung. Das ist keine linke Träumerei – das ist nüchterner Selbstschutz.

Erinnern heißt handeln

Für mich ist der Hiroshima-Gedenktag keine historische Pflichtübung, sondern ein Tag, an dem mir besonders bewusst ist, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist. Dass die nukleare Bedrohung nicht der Vergangenheit angehört. Und dass es unsere Verantwortung ist, wachsam zu bleiben. Wir dürfen uns nicht einreden lassen, dass nukleare Abschreckung Sicherheit bedeutet. Was uns wirklich sicher macht, ist Abrüstung, Dialog, Diplomatie. Und der Mut, sich diesem Thema immer wieder zu stellen – auch wenn es Angst macht.

Nie wieder Hiroshima. Nie wieder Nagasaki. Das darf nicht nur ein Spruch auf einem Kranz sein.

Ein Zeichen setzen?

Magdeburg erinnert sich am 9. August 2025 ab 10 Uhr auf dem Lukashügel an der Stele der Völkerfreundschaft. Weitere Informationen dazu finden sich hier.

Dieses Posting ist mein Beitrag zur Blogparade #relevant zum Thema „Gedenktage“. Alle Informationen dazu sowie weitere Artikel zum Thema findest Du hier.

6 Kommentare
  1. Erik
    Erik sagte:

    Vielen Dank für deine Teilnahme an der Blogparade.

    Es ist wichtig, dass das Wissen um die Atombombenwürfe von Hiroshima und Nagasaki nicht in Vergessenheit gerät. Mit deinem Artikel hast du einen Beitrag dazu geleistet.

    Allerdings ist das Wissen um die Atombombe nun in der Welt. Und wenn das Wissen da ist, wird sich immer jemand finden, der sie baut. Wir können nur hoffen, dass keine Atombombe mehr zum Einsatz kommt.

    Antworten
  2. Angela Carstensen
    Angela Carstensen sagte:

    Danke, dass du daran erinnerst und so klar Stellung beziehst. Mir ging es sehr ähnlich, beim Titel „The Day After“ läuft es mir kalt den Rücken herunter, dabei habe ich den film nicht einmal ganz gesehen. Dafür „Wenn der Wind weht“ (https://www.imdb.com/de/title/tt0090315/)

    Gerade, weil die Menschen, die die Atombombenabwürfe überlebt haben, immer weniger werden, müssen wir heute umso deutlicher darauf hinweisen, was für ein Verbrechen das war.

    Antworten

Trackbacks & Pingbacks

  1. […] Anfang machte Lin. Sie schrieb in ihrem Artikel Nie wieder Hiroshima, nie wieder Nagasaki über die Atombombenwürfe auf die beiden japanischen Städte. Den 8. August läutete Claudia mit […]

  2. […] "Nie wieder Hiroshima, nie wieder Nagasaki – warum wir die nukleare Bedrohung nicht vergessen… […]

  3. […] und dafür später wieder fest eingeschlafen bin, habe ich die heutige Gedenkveranstaltung zu den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki versäumt. Dafür fühle ich mich nun fit genug für John Garner im Volksbad Buckau, das wird […]

  4. […] Lin – Nie wieder Hiroshima, nie wieder Nagasaki […]

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert