Das Nest ist leer

Heute Morgen ist mein Jüngster aufgebrochen. Ein Koffer so groß wie sein Mut und größer als er selbst bei der Einschulung, ein Flugticket nach Asien, wo er ein Gap Year verbringen wird. Ich freu mich sehr für ihn, sowas hätte ich auch gerne gemacht, aber ich war im Abi ja schon schwanger.

Jetzt ein dicker Kloß in meinem Hals. An diesem Tag das letzte Mal ein Kind losgelassen.

1988 – 1992 – 1994 – 2004 – 2006

Meine innere Uhr tickt in Geburtsjahren. Mein Kalender war jahrzehntelang gefüllt mit Kinderturnen und Mamataxi, Elternabenden und Kinderarztbesuchen („Bitte begeben Sie sich in den Seuchenraum…“), Brotdosen und Bioexperimenten, Schulfesten, Pfadfinderheim und Turnhallen, Schwimmen lernen und Musikunterricht, Wäschebergen, Lachen und Tränen, Trotz, Umarmungen, Plänen und Chaos, Antreiben und Bremsen, Erste Male und Letzte Male.

Heute also ein Letztes Mal. Tschüss, mein Baby, mein Kleiner (der mich schon lange überragt).

Ich könnte weinen — oder ich könnte tanzen. Wahrscheinlich mache ich beides. Fünf Menschen, die trotz und wegen mir so großartig sind, wie sie sind. Ich habe mich jahrzehntelang in diesen fünf Menschen wiedergefunden. Jetzt muss ich nachschauen, wer da noch übrig ist, wenn keiner mehr fragt, wo seine Turnschuhe sind.

Vielleicht fange ich an, Bilder zu sammeln — aber nur hässliche. Vielleicht spiele ich alleine Singstar, ohne dass jemand die Augen verdreht und murmelt: „Peinlich, Mama.“ Vielleicht fange ich an, mit mir selbst zu reden — ach was, das mache ich eh schon.

Ich weiß, dass ich mich selbst wieder zusammenpuzzeln kann, zuletzt der Missbrauch Anfang des Jahres und der gerade so halbwegs überstandene Fahrradunfall — Narben auf Haut und Seele. Und immer wieder Umzugskartons im Außen, und innen mein Herz, das wieder zusammenwächst.

Wehmut? Ja. Dankbarkeit? Riesig. Angst? Ein bisschen. Lust aufs Leben? Immer.

Ab heute bin ich dran.

Schweigen, decken, weitermachen

Gestern Abend war ich im Kino, habe den Ritt durch ein wildes, schräges, krass übertriebenes Abenteuer genossen. Zwei Stunden perfekte Realitätsverweigerung im Kino – dann schalte ich mein Handy ein. Die erste Schlagzeile: „Vorwurf der sexuellen Belästigung gegen CDU-Politiker aus Sachsen-Anhalt“.

Der Abend war für mich gelaufen, denn mich hat das in meinen eigenen Schmerz zurückgeworfen: Ekel, Scham, Angst.

Oft werden solche Übergriffe als Einzelfälle abgetan – als wäre es „nicht so schlimm“ oder sie „stelle sich nur an“. Aber nein: Es sind keine Einzelfälle. Und es ist schlimm. Denn wer sexualisierte Gewalt erlebt, wird nicht ernst genommen – sondern entmenschlicht, objektifiziert, zum Spielball männlicher Macht.

Das „Sorry“-Phänomen: Bagatellisierung durch Männer

Inzwischen ist Kurze als parlamentarischer Geschäftsführer, nicht aber als Abgeordneter zurückgetreten. Er werde sich bei der Betroffenen entschuldigen – und glaubt, dass ihn das aus der Verantwortung nimmt? Das ist ein weit verbreiteter Abwehrmechanismus.

Männer in Machtpositionen nutzen Übergriffe, um ihre Dominanz zu festigen. Institutionen decken Täter oft – und die Opfer bleiben isoliert und in der Minderheit.

Durch die schnelle Entschuldigung wird die Situation verniedlicht, man beruft sich auf Missverständnisse oder betont, es sei ja nur einmal vorgekommen. Das funktioniert besonders gut bei Machtgefällen – und die Männer beanspruchen noch im Nachinnein die Deutungshoheit.

In seiner Erklärung betonte Kurze, er habe „die Situation offensichtlich falsch eingeschätzt“ und bedaure, „die Gefühle der betroffenen Frau verletzt“ zu haben. Er wolle sich bei ihr persönlich entschuldigen.

Was auf den ersten Blick nach Einsicht klingen mag, ist bei genauerem Hinsehen ein rhetorischer Rückzug in die Deckung – und vor allem: keine echte Übernahme von Verantwortung.

Das Problem heißt nicht „falsche Einschätzung“

Wer von einer „falschen Einschätzung“ spricht, gesteht kein Fehlverhalten ein, sondern stilisiert sich zum Opfer eines Missverständnisses. Doch sexuelle Belästigung ist keine Frage der Deutung – sie ist ein Übergriff. Sie nimmt einem anderen Menschen die Würde, die Sicherheit, die Autonomie. Wer sie begeht, handelt nicht „unglücklich“ oder „unbedacht“, sondern übergriffig.

„Es tut mir leid, dass du dich verletzt fühlst“

Diese Form der Entschuldigung verschiebt die Verantwortung auf die Betroffene. Es geht nicht um ihre Gefühle, sondern um sein Verhalten. Nicht sie ist das Problem – sondern er. Wer so spricht, lenkt ab. Und das ist Teil eines größeren Musters.

Keine klare Haltung, keine Führungsverantwortung

Kurze ist zwar relativ zügig nach Bekanntwerden des Vorwurfs als parlamentarischer Geschäftsführer zurückgetreten – aber dazu hat auch die öffentliche Empörung beigetragen. Was fehlt, ist eine klare Positionierung der CDU-Spitze. Wenn Fraktionschef Heuer sagt „deshalb nehme ich seine Entscheidung mit Respekt zur Kenntnis“, dann ist das mehr als unangebracht und keine Führungsverantwortung, die hier nötig gewesen wäre. Mal wieder ein Deal hinter verschlossenen Türen, ein Du-du-du als Strafe – und die Betroffene kann sehen, wo sie bleibt?

Die institutionelle Schonhaltung

Dass Kurze nicht wegen seines Fehlverhaltens zurücktritt, sondern weil „die Zusammenarbeit im Parlament beeinträchtigt“ sei, ist bezeichnend. Der Schaden entsteht demnach nicht durch die Tat, sondern durch die öffentliche Thematisierung. Das Opfer? Unsichtbar. Die Struktur? Geschont.

Auch der Kommentar seines Fraktionsvorsitzenden Guido Heuer folgt dieser Logik: „Die Vorwürfe wiegen schwer.“ Mehr nicht. Kein Wort des Schutzes für die Betroffene. Kein politisches Signal gegen Machtmissbrauch. Schweigen im Dienste der Stabilität. Die Presseerklärung der CDU ist ein Musterbeispiel für:

  • Täterzentrierung
  • Emotionalisierte Entschuldigungsrhetorik
  • Vermeidung konkreter Verantwortung
  • Strukturelles Schweigen zum eigentlichen Problem: Sexismus und Machtmissbrauch

Sie zeigt einmal mehr, dass es in solchen Fällen weniger um Aufarbeitung geht – und mehr um Schadensbegrenzung im System.

Wir brauchen einen gesellschaftlicher Kulturwandel

Männer müssen lernen, dass eine Entschuldigung nie ausreichend ist und dass Verantwortung heißt: Zuhören, Konsequenzen akzeptieren, Verhaltensänderung. Der gesellschaftliche Diskurs muss „Sorry“-Mentalitäten durchbrechen.

Einzelfall? Ganz sicher nicht.

Was hier als isoliertes Missverständnis inszeniert wird, ist in Wahrheit Teil des patriarchalen Systems. Übergriffe passieren nicht im luftleeren Raum – sie werden ermöglicht durch Machtgefälle, Abhängigkeiten, Männerbünde und Schweigekartelle.

Und wenn sie bekannt werden, folgt meist ein bekanntes Drehbuch: Erst das Kleinreden. Dann das Bedauern. Schließlich der Rückzug – nicht aus Verantwortung, sondern zur Schadensbegrenzung.

„Sorry“ ist keine Aufarbeitung

Solange Männer glauben, mit einer persönlichen Entschuldigung sei es getan, bleibt alles beim Alten. Es braucht nicht nur Rücktritte, sondern Aufklärung. Nicht nur Betroffenheit, sondern Konsequenzen. Nicht nur Entschuldigungen, sondern strukturellen Wandel.

Was jetzt zählt

Sexualisierte Gewalt ist keine Privatsache. Sie ist politisch. Und sie ist systemisch. Wer sich wirklich glaubwürdig verhalten will, muss aufhören, um den heißen Brei zu reden – und anfangen, die Dinge beim Namen zu nennen: Machtmissbrauch. Sexismus. Übergriffigkeit. Und zwar unabhängig davon, ob sie strafrechtlich relevant sind oder nicht.

Die politische Kultur, die solche Taten duldet, schützt oder verschweigt, muss sich ändern. Und das fängt damit an, dass wir nicht mehr so tun, als sei es „nur ein Einzelfall“. Solange Schweigen politisch opportuner ist als Solidarität mit Betroffenen, bleibt alles wie es ist. Aber wir schulden es allen, die nicht mehr schweigen können: endlich hinzuschauen. Und zu handeln. Für alle Frauen. Und für mich.

 

Es. Tut. Weh.

Ich habe einen Sieg errungen, der sich anfühlt wie eine Niederlage. Der Täter wird Konsequenzen tragen müssen – welche genau, werde ich nie erfahren. Ich halte ein Schreiben in den Händen. Darin steht: „übers Ziel hinausgeschossen“. Und: „Er bedaure“. Die Formulierungen zerreißen mich innerlich.

Das ist, was bleibt. Ein lapidares „Upsi“, während mein Leben in Trümmern liegt. Ich sitze hier mit zitternden Händen, Herzrasen und Bildern im Kopf, die nicht verschwinden wollen. „Übers Ziel hinausgeschossen“, sagt er – dabei war es Grenzüberschreitung. Übergriffigkeit. Machtmissbrauch. Missbrauch.

Aber ja: Das Verhalten wird – wie auch immer – geahndet. Ich habe also „gewonnen“. Irgendwie. Doch die Wahrheit ist: Ich hatte von Anfang an verloren.

Der eigentliche Verlust begann viel früher. In dem Moment, in dem mein Körper nicht mehr mir gehörte. In dem mein Kopf nur noch Flucht plante, ich aber eingefroren bin. Überlebt habe ich irgendwie – neben mir stehend.

Heute habe ich eine Diagnose: PTBS. Ich gehe mit Pfefferspray durch Tag und Nacht. Ich zucke bei Geräuschen zusammen. Ich kann Menschen nicht mehr trauen. Ich fühle mich selten sicher – nicht einmal in meinem eigenen Körper. Und selbst wenn ich mich doch mal sicher fühle, triggert irgendetwas ganz Banales. Mein Nervensystem weigert sich, zur Ruhe zu kommen. Ich habe gelernt, meine Angst zu tarnen, damit niemand sieht, wie kaputt ich bin.

Ich habe gehofft, dass es etwas verändert, wenn ich spreche. Dass sich etwas bewegt, wenn ich den Mut finde, nicht nur zu erleiden, sondern zu benennen. Doch dann kam der Brief. Und da stand nicht Gerechtigkeit. Da stand nicht Anerkennung. Da stand: „Er bedaure“. Da stand: „schwierig“. Da stand sinngemäß: Ups.

Ich könnte schreien. Stattdessen: Schmerz. Ohnmacht. Ich wünschte, ich könnte das herausschreien.

Wie soll ich nun reagieren auf eine Welt, die mich so beiläufig abtut? Wie soll ich weiterleben in einem Körper, der dauernd Alarm schlägt, während das System Akten schließt? Das System schützt sich selbst. Nicht mich.

Ich bin müde. Nicht nur von den Nächten, in denen ich nicht schlafen kann. Sondern von der Dauer dieser Unsicherheit. Der Einsamkeit. Der ständigen Frage: Bin ich zu empfindlich? Und ich weiß: Diese Frage ist nicht meine. Sie wurde mir vom System aufgeladen. Müsste es jetzt nicht so langsam mal gut sein? Ich wünschte, das wäre so. Wenn ich das beschließen könnte: sofort. Zack, alles wieder gut. Aber so funktioniert das nicht.

Was bleibt: Keine Antworten. Keine Heilung. Nur Narben.

Dieser Brief, der irgendwie Gerechtigkeit bedeuten soll, reißt in mir alles noch einmal auf. Er macht auf schmerzhafte Weise klar: Selbst wenn man alles „richtig“ macht, bleibt man zurück – mit Schmerz, mit Misstrauen, mit einem Leben, das nie wieder wird wie vorher. Ich habe keine Gerechtigkeit erlebt. Ich habe einen Verwaltungsakt erlebt. Einen, der mir formal Recht gibt, aber menschlich alles falsch macht. Der sagt: Ja, das war nicht in Ordnung. Und gleichzeitig: Aber auch nicht schlimm genug, um es beim Namen zu nennen.

Was bleibt, bin ich. Mit einem zerschlagenen Sicherheitsgefühl. Mit einem Körper, der sich fremd anfühlt. Mit einem Leben, das nicht wieder leicht geworden ist. Die Scham ist nicht gegangen. Sie ist nur tiefer reingekrochen.

Trotzdem sprechen. Trotzdem da sein. Ich schreibe das nicht, weil ich abgeschlossen habe. Ich schreibe das, weil ich es nicht länger in mir einschließen will. Weil ich nicht mehr schweigen möchte, nur weil der Raum keine Sprache für meinen Schmerz kennt.

Es wird wieder passieren. Nicht nur mir. Anderen Frauen. Immer wieder. Und jedes Mal wird jemand sagen: „Missverständnis“. „Übers Ziel hinausgeschossen“. „Bedauerlich“. Und jedes Mal wird jemand hoffen, dass wir es leise ertragen. Dass wir es schlucken.

Aber ich bin hier. Nicht geheilt. Nicht stark. Aber wach.

Und wenn ich schon mit dieser Scham leben muss, dann soll sie wenigstens nicht mehr unsichtbar sein. Dann soll wenigstens klar sein:
Ich war nicht das Problem. Ich bin nicht das Problem.

Vielleicht liest das eine, die denkt: Ich dachte, ich bin allein mit diesem Gefühl.
Du bist es nicht. Und vielleicht reicht das für heute.

Ob das alles strafrechtliche Konsequenzen haben wird? Das liegt bei der Staatsanwaltschaft. Eine Einstellung des Verfahrens wäre keine Überraschung. Aber eine weitere, tiefe Verletzung.

Sleepless

I wanna sleep without the falling,
dream without the fight.
Just one night without the running,
just one breath of quiet light.

I wanna sleep without the shadows,
dream without the weight.
One still night without the echoes,
a moment free from fate.

I wanna sleep without the drowning,
dream without the scream.
One short night without the chasing,
Just one hour without the dream.

I wanna sleep without resistance,
dream without a war.
One night that doesn’t hurt to enter,
no fear behind the door.

I wanna sleep without surrender,
dream and still survive.
One night, no brace for impact,
just breathe and feel alive.

I wanna heal without the hurting,
grow beyond the past.

I wanna rest without the breaking,
live without the fear.

Blick in die Glaskugel

Ein wunderschöner Maisonntag: Sonne, postkartenblauer Himmel und angenehm warm. Also nichts wie raus mit der Kamera – zusammen mit meiner neuen kleinen Glaskugel. Es ist tatsächlich nur eine ganz kleine, damit sie nicht so schwer ist, 6 cm Durchmesser. 10 Zentimeter finde ich eigentlich besser, aber das nutzt ja nichts, wenn die Kugel immer zuhause bleibt, weil sie mir zu schwer zum Herumschleppen ist.

Vom Elbbalkon zur Hubbrücke, unter die Hubbrücke zur Schaukel und wieder zurück – zack, waren drei Stunden rum.

Sollte ich wirklich wieder öfter machen.

Not yet spring

I thought the thaw had come at last,
the ice inside began to pass—
light cracked through branches overhead,
and I believed the storm had fled.

But shadows pooled behind my eyes,
like dusk that waits beneath disguise.
The ground gave way beneath my feet—
a quiet fall, a dark repeat.

I held my breath; the dark returned,
the lessons lost, the bridges burned.
I wept for healing half-complete,
for ghosts I thought I’d made retreat.

So here I sit inside the night,
still searching for a spark of light.
And though I fell, I still begin—
not from the start, but deep within.

Rückspiegel (6)

Die letzte Zeit im Rückspiegel: Alltagsbeobachtungen, Anekdoten, Gedanken, die in wenigen Zeilen erzählt sind oder mit einem Bild (oder vielen) ausgedrückt werden können.

Es ist hart

Letzte Woche habe ich endlich die Zeugenvernehmung hinter mich bringen können. Das war noch härter als befürchtet, vor allem, weil ich mich hinterher noch einmal komplett zerstört gefühlt habe.

Ich balanciere auf einem Hochseil und wünsche mir nichts sehnlicher als festen Boden unter den Füßen. Stattdessen schwingt das Seil unvorhersehbar, und es raubt mir meine ganze Kraft, dagegenzuhalten und nicht abzustürzen.

Aber es werden zunehmend mehr gute und weniger schlimme Tage.

Anfang des Monats war der Jahrestag meiner Ankunft in Magdeburg. Zwei Jahre bin ich schon/erst hier. Ich habe mir hier ein neues, gutes Leben aufgebaut, ich kann nach vorne sehen und ich lass mir das von niemanden kaputt machen. Und auch wenn ich immer noch auf dem Hochseil balanciere – ich habe ein Netz, dass mich auffängt, sollte ich fallen.

Zoobesuch

Ende März war ich zum ersten Mal im Magdeburger Zoo. Nun habe ich eine Jahreskarte und werde häufiger hinfahren „müssen“.

Trogbrücke (1)

Letztes Wochenende bin ich nach einem Termin am Ende der Welt über die Dörfer zurück nach Hause gefahren und mit der Rogätzer Fähre über die Elbe rüber. Das war nett, ebenso der Schipper. Nächster Zwischenstopp war das Wasserstraßenkreuz – da war ich tatsächlich zum ersten Mal. Besonderheit jetzt: die Trogbrücke ist trockengelegt, weil sie gewartet werden muss. Richtig dichte ran bin ich wegen der Absperrungen nicht gekommen, aber immerhin.

Trogbrücke (2)

Eigentlich war mir gestern mehr nach Verkriechen, aber das Wetter war so traumhaft, dass ich mich nachmittags doch aufs Rad geschwungen hab. Diesmal hab ich den Elberadweg Richtung Norden genommen – und mit jedem Kilometer (44 km waren es am Ende) habe ich mich besser gefühlt. Daran konnten auch die Trillionen von Insekten und die teils sehr düsteren, einsamen Abschnitte auf der Rückfahrt nichts ändern, auch wenn mir da doch ganz schön die Düse ging. Aber das tolle Licht, die Stimmung nicht nur an der Trogbrücke – das war es wert.

 

Koalition oder nicht, das ist hier die Frage

Ich darf mit darüber abstimmen, ob die SPD diese Koalition eingehen wird – oder nicht. Ich habe mich noch nicht entschieden, denn abgesehen von etlichen inhaltlichen Kröten, die zu schlucken wären, ist da noch die größte Kröte: der designierte Kanzler. Die Frage ist: was ist die Alternative? Es ist halt nicht so, dass ich mich hinsetzen könnte und an jeden Punkt ein Plus oder Minus setze und am Ende zusammenrechne, sondern das „was wäre wenn“ muss auch mit bedacht werden. Also werde ich in den nächsten Tagen noch viel lesen und diskutieren und nachdenken. Eine wichtige Frage ist: könnte es mit dieser Koalition gelingen, Menschen wieder in die gesellschaftliche Mitte zurückzuholen, so dass bei den nächsten Wahlen die #fckafd keine Rolle mehr spielt? Es bleibt jedenfalls das schale Gefühl, dass es hier keine wirklich richtige, gute Entscheidung gibt, sondern nur das kleinere Übel. Seufz.

Die Scham muss die Seite wechseln

… und die Angst

… die Schlaflosigkeit

… die dunklen Gedanken

All das muss auch die Seite wechseln.

 

Ich habe im Januar einen hohen Preis für meine Überzeugungen gezahlt. Ich habe einen politisch motivierten sexuellen Übergriff überlebt.

Ich kann meinen Alltag bewältigen, aber nachts kommen die Dämonen. Ich habe seine Worte im Ohr, fühle ihn wieder an und in meinem Körper.

Schockstarre. Angst.

Ich bin stark und schwach zugleich.

Stark, weil ich mich jetzt wehre.
Schwach, weil ich mich erst jetzt wehre, weil ich in der Situation selbst eingefroren bin.  Schwach,  weil es meine ganze Kraft kostet, mich gegen die dunklen Gedanken zu wehren. Schwach, weil mich Kleinigkeiten triggern.

Stark, weil ich mich trotzdem wehre – was ich in der Situation selbst nicht konnte. Schwach, weil die Erfolgsaussichten gering sind – da wird Aussage gegen Aussage stehen.

Ich schäme mich. Weil ich mich nicht wehren konnte. Eingefroren bin, auf Autopilot gegangen bin.

Aber jetzt wehre ich mich. Versuche, die Kontrolle zurückzugewinnen. Wird die Scham damit die Seite wechseln? Wird er sich nun schämen? Angst haben? Unter Schlaflosigkeit leiden? Sich mit dunklen Gedanken plagen?

Ich will mein Leben zurück. Ich will nicht mehr schwach sein. Es fühlt sich jetzt gut und richtig an, dass ich mich wehre. Aber was wird es mit mir machen, wenn ich den Kampf vor der Justiz verliere?

Sie läuft über Wasser, sie läuft über GlasSie jagt den größten Drachen, der sie beinah fraß, jaSie kommt aus der Hölle, ihr Schwert in der HandVor Drachen und Feuer hat sie keine AngstHat sie keine Angst

Schön wie die NachtKämpft sie durch die DunkelheitMit aller KraftHat sie Wunden selbst geheilt

Ihre Augen leuchten wie die GlutUnd in ihren Venen fließt Drachenblut, drum laufDenn sie gibt niemals auf

Sendet mir bitte Kraft, damit ich wirklich niemals aufgebe.

Raus

Was für eine Woche, privat wie politisch. Ich kann immer noch nicht fassen, dass der CxU-Kandidat das wirklich durchgezogen und mit den Blaubraunen gemeinsame Sache gemacht hat. Das ist nicht nur charakterlich erbärmlich, sondern ein Dammbruch. Nichts mit Brandmauer. Auch wenn die vielen kleinen und großen Demos gerade Mut machen – unterm Strich mache ich mir große Sorgen, nicht nur mit Blick auf die Bundestagswahl, sondern auch darüber hinaus. Aber selbst das tritt hinter die private Baustelle zurück, über die ich – noch oder nie – nicht schreiben werde. Jedenfalls musste ich heute mal raus, Kopf frei kriegen, Gedanken und Gefühle sortieren.

Kalt, aber sonnig und trocken: rauf aufs Rad und mal gucken, wo mich das hinfährt. Eigentlich keine Überraschung, an die Elbe natürlich.

Und zack, wenn man vergisst, dass die Einstellung auf maximaler Unterstützung ist, ist man ratzfatz hier… (Schönebeck voraus).

Vergessen hatte ich auch, das Rad einzustöpseln und wie erwähnt: kalt war es auch. Folge: Akku leer, d.h. ab jetzt das schwere E-Bike schön selbst voranstrampeln. Hab‘ kurz überlegt, mit der Bahn zurückzufahren, aber draußen sein und keine Leute sehen zu müssen, war deutlich verlockender. Dann gibt’s halt Muskelkater, so what.

Gibt einige Ruinen und lost places entlang der Strecke, aber allein bin ich zu ängstlich, die zu erkunden. Das wäre mal was mit Begleitung.

Auf der Elbbrücke habe ich noch mal angehalten und die Aussicht genossen.

Diese Schönebecker Fachwerkhäuserzeile ist wirklich sehenswert.

Keine Menschenseele. War genau das Richtige heute.

Schönes Licht gab’s auch dazu.

Wald und Weite.

Wie gesagt: wirklich tolles Licht.

Hallo Dom, ich bin auf dem richtigen Weg. 🙂

Mein Lieblingsbild von heute. Dom, Wasser und so wundervolles Licht.

Falls ich das noch nicht erwähnt habe – wirklich schönes Licht. 🙂

Und zum Abschluss noch ein Frühlingsgruß (am 2. Februar!) aus dem Rotehornpark.

Jetzt bin ich platt, ich ahne den Muskelkater, aber ich bin ruhiger als vor der kleinen Tour. Sollte ich unbedingt wieder regelmäßig machen.

Hallo 2025!

Wie der Junior und ich seit letztem Jahr wissen, als wir vor verschlossenen Ladentüren standen: der 6.1. ist in Sachsen-Anhalt Feiertag – und heute war damit der letzte freie Tag, bevor uns morgen der Alltag wieder hat.

Kurzer Blick zurück auf die Ferien

Weihnachten haben wir dieses Jahr leise und unaufgeregt, aber total harmonisch in meinem persönlichen Bullerbü gefeiert. K3 und seine Familie, K4, K5 und ich – das hat gut gepasst und war schön. So leise Weihnachten ohne Stress, das war so kurz nach dem Anschlag genau das Richtige für mich. Am 1. Feiertag gab es den obligatorischen Vogel, am 2. Feiertag ist K4 schon mal zurück nach Hamburg gefahren.

38C3

K5 und ich sind ihm am 27. frühmorgens gefolgt: 38C3! Mein Fokus liegt dabei nicht auf dem Hacken selbst, sondern auf den Ergebnissen: dem, was durch Hacker an Sicherheitsrisiken und problematischen Auswüchsen der Digitalisierung offenbar wird – und wie man das für die breite Öffentlichkeit übersetzen kann, wo das Problembewusstsein dafür nicht besonders ausgeprägt ist: Volkswagen, elektronische Patientenakte sind da nur zwei von vielen aktuellen Problemen. Eine Idee, die ich mal angehen könnte, habe ich auch mit nach Hause genommen, allerdings wird das aus Zeitmangel wohl eher ein Ferienprojekt. Mal sehen. Schön für mich: auf und am Rande des Kongresses habe ich meine Schwestern und alle Kids bis auf K3 gesehen, den ich ja aber hier in der Nähe habe.

Trotz Kongress habe ich mir die Zeit genommen, um viel zu schlafen. Also wirklich viel schlafen und betüddelt werden von meiner Freundin. Vielen lieben Dank dafür, das tat unglaublich gut. Silvester haben mein Freundin, K4, K5 und ich zusammen gefeiert, und auch das war ein eher leiser, gemütlicher Abend.

Das Neue Jahr

Ich bin eine geborene Optimistin, das ist für mich überlebensnotwendig. Aber ich bin wohl noch nie mit so wenig Optimismus wie bei diesem Jahreswechsel in das Neue Jahr gestartet, nicht mal während der Corona-Jahre, wo es ja immer die Hoffnung gab, dass es aufwärts geht. Die ersten Tage in 2025 haben bisher auch eine eher dämpfende Wirkung. Der sich ausbreitende Faschismus, sei es in Deutschland oder bei unseren Nachbarn, sie es die Sicherheitslage auf der ganzen Welt, sei es die Vorherrschaft von Fake News und Dumpfbratzentum – wie hält man das auf und wirft das Ruder wieder rum in Richtung Fortschritt, Wissenschaft und ein humanistisches Weltbild?

An Neujahr sind K5 und ich jedenfalls wieder früh aufgestanden und einmal durch die ganze Republik gefahren: Besuch bei meiner Mutter in Altötting. Überraschung: trotz leichter Verspätung haben wir alle Anschlüsse bekommen und auf der vorletzten Etappe dann auch so schöne Ausblicke: ein Hauch von Schnee, Sonnenuntergang, Pastellfarben – traumschön. Ich hätte durchaus aussteigen und fotografieren wollen, aber meine Mutter hat ja auf uns gewartet.

Fotografieren?

Das private Fotografieren ist im vergangenen Jahr zu kurz gekommen, das möchte ich dieses Jahr anders machen, und darum werde ich wieder mit einem 52-Foto-Projekt = Bild der Woche starten.

Der Besuch bei meiner Mutter war schön, wenn auch relativ kurz. Aber das bayrische Kontrastprogramm tat gut, vor allem weil K1 und seine Partnerin als Überraschungsbesuch auch noch dazugekommen sind. Schön.

Am Samstag sind wir schon wieder heimgereist. Anders als auf der Hinfahrt war es stressig, weil es vor jedem Umstieg wegen Verspätung hieß „Alternative Verbindung suchen“ – mit Ach und Krach haben wir aber doch alle geplanten Anschlüsse bekommen. Entspannt geht anders, also war es komplett richtig, dass wir das verlängerte Wochenende „Hardcorefaulenzen“ in unseren Kalendern hatten.

Nun bin ich gespannt darauf, was uns 2025 bringen wird – privat, politisch (nicht nur in Deutschland mit der Bundestagswahl), gesellschaftlich. Voller Tatendrang bin ich jedenfalls.

Ich hoffe, dass ich am Ende positiver auf 2025 zurückblicken kann, als ich jetzt darauf schaue.