Die Kunst, neue Bindungen zu knüpfen – und ohne auszukommen

Ich bin in einer Stadt voller Fremder erst gestrandet, dann gelandet und nun so langsam angekommen. Und doch fühle ich mich manchmal wie ein verlorenes Puzzlestück, das nirgendwo so recht hineinpasst. Diese Erfahrung machen sicher viele, die sich in einer neuen Stadt niederlassen, aus welchen Gründen auch immer. Aber egal, warum man in einer neuen Stadt neu anfängt: mit dem Neuanfang kommen auch neue Herausforderungen.

Samstagnachmittag habe ich mein Carsharing-Auto zurückgebracht und bin aus der Innenstadt nach Hause geradelt. Tolles Wetter. Im Fürstenwallpark am Dom blüht ein blau-lila Blumenteppich, fast jeder bleibt hier stehen, um ein Foto zu schießen. Auf dem Domplatz, am Hundertwasserhaus, auf dem Breiten Weg, rund ums Allee-Center – da steppt der Bär. Auch weiter in Richtung City-Carré, Bahnhof und Damaschkeplatz ist richtig viel los.

Aber dann biege ich in die Große Diesdorfer Straße ein und vor mir: nichts. Stille Leere in einer Straße, die mir vor Kurzem noch völlig unbekannt war. Überhaupt fühlt sich die Stadt, die ich inzwischen als mein Zuhause betrachte, merkwürdig still an. Klar, das ist kein Wunder, wenn man vorher in Peking gelebt hat. Dass ich mich in Peking anfangs verloren gefühlt habe: das war zu erwarten. Aber zurück zuhause in Deutschland – damit hätte ich nicht gerechnet, mich selbst inmitten von Menschenmengen verloren zu fühlen.

Manchmal hätte ich gerne einen Kompass, um mich in den sozialen Gewässern der Stadt zurechtzufinden. Es ist, als ob ich auf einem Ozean der Anonymität treibe, ohne zu wissen, welcher Hafen der richtige ist. Die Versuchung, mich in mein kleines Nest zuhause zurückzuziehen, ist groß, aber gleichzeitig weiß ich, dass das keine Lösung ist.

Hier kennt mich noch kaum jemand, niemand hat auf mich gewartet. Ich bin es, die aktiv werden muss, auch wenn das Zeit, Geduld und Kraft braucht.

Ich habe zum Glück meine Familie und meine Freundinnen vor allem in Hamburg, die nun nicht mehr Tausende Kilometer und Langstreckenflüge entfernt sind, sondern nur wenige Hundert Kilometer und ein paar Bahn- oder Autostunden. Gut machbar am Wochenende. Aber mir fehlt jemand vor Ort, hier für den Alltag und das Private, abends nach der Arbeit auf einen Absacker, dieses spontane kurz mal Vorbeikommen oder zusammen was zu unternehmen. Wird sich alles noch finden, aber noch gibt es da eine Lücke.

Aber in dieser Lücke entdecke ich auch meine Stärke und meine Unabhängigkeit. Ich kann mir selbst vertrauen, ich mag meine eigene Gesellschaft und kann gut mit mir allein sein. Und so ganz allmählich gibt es sie, die ersten Verbindungen. Die kleinen Gesten von Menschen in meinem Umfeld, die Gespräche mit ihnen, die mir zeigen, dass ich nicht ganz allein bin.

Es wird.

 

11 Kommentare
  1. Anne
    Anne sagte:

    Ich finde es wahnsinnig beeindruckend und mutig, dass du diesen Schritt gegangen bist, alleine in eine fremde Stadt zu ziehen. Ich glaube, ich könnte das nicht.
    Ich drücke dir ganz fest die Daumen, dass Magdeburg ein richtiges Zuhause für dich wird und du dich nicht nur örtlich orientierst und einlebst, sondern auch emotional und sozial. <3

    Liebe Grüße
    Anne

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    • Lin
      Lin sagte:

      Liebe Anne,

      ich denke, wenn man nicht die Wahl hat, ist es müßig über (nicht) vorhandene Kraft nachzudenken. So abgedroschen es klingt: manchmal muss man einfach irgendwo durch. Und: meine Entscheidung war ja nicht, neu und allein in einer fremden Stadt anzufangen, das war nur die Folge meiner Entscheidung, mich zu trennen.

      Ich muss halt dran bleiben und Geduld haben, das wird sich schon noch alles entwickeln, hoffe ich. Deine guten Wünsche tun da gut!

      LG Lin

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  2. Sari
    Sari sagte:

    Ich sage auch Respekt. Ich hätte wirklich auch meine Probleme anzukommen und Kontakte zu knüpfen, weil ich für sowas immer meine Zeit brauche und vor allem jemand, der für mich schon mal vorpreschen kann und ich dann nur noch mit einsteigen muss.

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    • Lin
      Lin sagte:

      Liebe Sari,

      für mich ist es schon das zweite Mal, dass ich in einer fremden Stadt neu anfange. Ich habe ein bisschen unterschätzt, wie schwierig das wird, immerhin ist es mein Heimatland und meine Muttersprache. Was es in Peking einfacher gemacht hat: es gibt eine sehr aktive internationale Community, die einen Willkommen heißt und das Ankommen und Einleben leichter macht. Das andere ist die Erwartung: bei Peking war klar, dass es nur ein Zuhause auf Zeit ist – das ist nun anders. Und ja, es braucht Zeit – und Durchhaltevermögen und Geduld…

      LG Lin

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  3. Udo
    Udo sagte:

    Das sind so Gedanken, die auch mir durch den Kopf rauschen. Ich würde gerne meinen Wohnsitz ändern, aber eben dieses Einleben, besonders im fortgeschrittenen Alter, lässt mich zweifeln. Berlin, da gehst du in eine Kneipe, ins Kino oder Theater, Kontakte zu knüpfen ist kein Problem. Und was den Wechsel noch erschwert ist der sehr große Unterschied zwischen den Städten Berlin-Magdeburg: Ausstellungen, Kino, die Kultur allgemein.
    Und wie gesagt, im Alter noch erschwerend die Flexibilität beider Seiten. Deshalb Hut ab vor deiner Entscheidung, den Schritt fand ich sehr mutig.

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    • Lin
      Lin sagte:

      Alleine neu hier anzufangen war ja nicht wirklich die Entscheidung, sondern die Folge der Entscheidung, mich zu trennen.

      Und auch wenn das Ankommen seine Herausforderungen hat, ich würde jeden ermutigen, es an einem anderen Ort zu versuchen, wenn es einen dahin zieht und man es sich ermöglichen kann und nur Bammel einen abhält. Ich bin wahnsinnig dankbar für meine Zeit in Peking, das war großartig, dass ich das alles erleben konnte und mein jüngeres Ich würde ich fragen, wovor es eigentlich so viel Angst hatte. Die Herausforderungen sind das eine, das andere ist der Spaß daran, etwas neu zu entdecken und sich dann immer besser zurechtzufinden.

      Ob das eine Altersfrage ist? Nicht unbedingt, es gibt so viele Menschen, die nie den Ort gewechselt haben und trotzdem einsam sind. Aber Schule und Uni machen es sicher einfacher, auch private Kontakte zu knüpfen. Ich muss mir halt aktiv die Gelegenheiten suchen, und auch wenn ich abends eigentlich schon müde bin, noch mal irgendwo hingehen, um unter Leute zu kommen.

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  4. TImoleon
    TImoleon sagte:

    Liebe Lin,
    ich lebe nun schon 17 Jahre in Leipzig. Bin einfach wegen des Jobs damals hierher gezogen. Ich fand es sehr schwierig Freundschaften zu knüpfen: Jeder hat sein eigenes Leben, womöglich noch Familie. Bis heute gibt es das nicht bei mir, daß man mal spontan vorbeikommt und was unternimmt. Alles muß abgesprochen und geplant werden. Auch ich finde das heute noch etwas anstrengend, weil ich es aus meiner Studienzeit in Trier anders gewohnt war. Außerdem sind die Menschen hier sehr auf Privatsphäre bedacht: Nur bei ganz wenigen ist man mal in die Wohnung eingeladen worden. Aber von vielen Bekannten und auch Freunden kenne ich das Zuhause gar nicht. Man trifft sich immer draußen – oder bei mir (ich lade ja gerne ein). Es ist eine andere Mentalität als die, mit der ich aufgewachsen bin.
    Ich hoffe sehr, daß Du Freunde in MD findest und Dich richtig einlebst mit allem drum und dran.
    Ist so ein Schritt, in eine andere Stadt zu ziehen, mutig? Mmmh, ich denke, es kommt auf den Typ Mensch an. Ich finde sowas immer spannend und würde es immer wieder tun. Aber ich bin auch kontaktfreudig, und durch meine Hobbies lerne ich auch diverse Menschen kennen. Nicht jeder ist so. Aber Du bist mir da definitiv ähnlich. Von daher: Das wird schon werden. 🙂
    LG,
    Timoleon.

    P.S.: Ich habe diesmal wirklich keine Benachrichtigung bekommen, daß es einen neuen Blogbeitrag gab. Ich schaue ja ab und an einfach mal so rein.

    Antworten
    • Lin
      Lin sagte:

      Hi Timo,

      da ist Leipzig ja fast wie Peking mit der Unüblichkeit, sich zuhause zu treffen. 🙂

      Ich habe die E-Mail-Benachrichtigung aktuell ausgeschaltet, weil sonst auch eine Benachrichtigung für das Bild der Woche käme – das fände ich zu viel für nur ein Bildchen. Ich bastel da an einer Lösung.

      Apropos Leipzig – ich könnte jetzt echt mal vorbeikommen, ne? 🙂

      LG Lin

      Antworten
  5. Natascha
    Natascha sagte:

    Hallo Lin,
    vermutlich macht die Trennung – die ja auch verarbeitet sein will nach so vielen Jahren und vermutlich ja auch nicht stillschweigend vonstatten ging – es gerade auch nicht einfacher, und ein bisschen ist es so wie bei einem Auslandsjahr der Kinder: Am Anfang alles neu, alles anpacken, alles Veränderung, alles Aufbruch. Irgendwann dann holt es einen ein, dass die festen Bindungen fehlen, dass es das Vertraute so nicht gibt, dass niemand einen „kennt“. Da muss man durch, das sehen Sie ja auch, sich Brücken bauen, sich Hilfe holen, und dann geht es aufwärts.
    Sie sind ja auch sozial engagiert – das sind m.E. immer gute Anknüpfungspunkte: Zusammen etwas anpacken, etwas machen, etc. Vielleicht eine Photogruppe über nebenan.de ins Leben rufen? Und über die Arbeit, gibt’s da Anknüpfungspunkte? Über die Kinder vor Ort?
    Und die anderen Gepflogenheiten (fehlende Spontaneität, Besuche, Einlass in die eigene Wohnung)..:? Auch innerhalb eines Landes gibt’s kulturelle Unterschiede, das ist blöde, und manchmal schwerer auszuhalten als die „großen Unterschiede“ zu einem ganz anderen Land. Man redet und lebt so schnell aneinander vorbei, weil man vermeintlich auf einer Perspektive aufbaut.
    Ich selbst habe gute Erfahrungen damit gemacht, das anzusprechen – ist manchmal sehr interessant, um etwas über das Gegenüber zu erfahren.
    Wünsche alles Gute und freue mich auf weitere Postings!
    Natascha

    Antworten
  6. Jove
    Jove sagte:

    Liebe Lin,

    ein sehr ehrlicher und persönlicher Artikel, der mich ein wenig daran erinnert, als ich damals von Mallorca (ich bin mit Mitte 20 ausgewandert) wieder zurück nach Kiel gezogen bin und von vorne starten musste. Die Zeit der Ungewissheit, neue Strukturen, Beziehungspflege, neuer Job, Wohnungssuche…aber in diese Phase der Ungewissheit gewinnt man an Stärke und lernt sich selbst sooo gut kennen. Eine sehr wertvolle Erfahrung und ein spannender Lebensabschnitt. Ich wünsche dir viel Kraft dafür!

    Liebe Grüße, Jove

    Antworten

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