Es. Tut. Weh.
Ich habe einen Sieg errungen, der sich anfühlt wie eine Niederlage. Der Täter wird Konsequenzen tragen müssen – welche genau, werde ich nie erfahren. Ich halte ein Schreiben in den Händen. Darin steht: „übers Ziel hinausgeschossen“. Und: „Er bedaure“. Die Formulierungen zerreißen mich innerlich.
Das ist, was bleibt. Ein lapidares „Upsi“, während mein Leben in Trümmern liegt. Ich sitze hier mit zitternden Händen, Herzrasen und Bildern im Kopf, die nicht verschwinden wollen. „Übers Ziel hinausgeschossen“, sagt er – dabei war es Grenzüberschreitung. Übergriffigkeit. Machtmissbrauch. Missbrauch.
Aber ja: Das Verhalten wird – wie auch immer – geahndet. Ich habe also „gewonnen“. Irgendwie. Doch die Wahrheit ist: Ich hatte von Anfang an verloren.
Der eigentliche Verlust begann viel früher. In dem Moment, in dem mein Körper nicht mehr mir gehörte. In dem mein Kopf nur noch Flucht plante, ich aber eingefroren bin. Überlebt habe ich irgendwie – neben mir stehend.
Heute habe ich eine Diagnose: PTBS. Ich gehe mit Pfefferspray durch Tag und Nacht. Ich zucke bei Geräuschen zusammen. Ich kann Menschen nicht mehr trauen. Ich fühle mich selten sicher – nicht einmal in meinem eigenen Körper. Und selbst wenn ich mich doch mal sicher fühle, triggert irgendetwas ganz Banales. Mein Nervensystem weigert sich, zur Ruhe zu kommen. Ich habe gelernt, meine Angst zu tarnen, damit niemand sieht, wie kaputt ich bin.
Ich habe gehofft, dass es etwas verändert, wenn ich spreche. Dass sich etwas bewegt, wenn ich den Mut finde, nicht nur zu erleiden, sondern zu benennen. Doch dann kam der Brief. Und da stand nicht Gerechtigkeit. Da stand nicht Anerkennung. Da stand: „Er bedaure“. Da stand: „schwierig“. Da stand sinngemäß: Ups.
Ich könnte schreien. Stattdessen: Schmerz. Ohnmacht. Ich wünschte, ich könnte das herausschreien.
Wie soll ich nun reagieren auf eine Welt, die mich so beiläufig abtut? Wie soll ich weiterleben in einem Körper, der dauernd Alarm schlägt, während das System Akten schließt? Das System schützt sich selbst. Nicht mich.
Ich bin müde. Nicht nur von den Nächten, in denen ich nicht schlafen kann. Sondern von der Dauer dieser Unsicherheit. Der Einsamkeit. Der ständigen Frage: Bin ich zu empfindlich? Und ich weiß: Diese Frage ist nicht meine. Sie wurde mir vom System aufgeladen. Müsste es jetzt nicht so langsam mal gut sein? Ich wünschte, das wäre so. Wenn ich das beschließen könnte: sofort. Zack, alles wieder gut. Aber so funktioniert das nicht.
Was bleibt: Keine Antworten. Keine Heilung. Nur Narben.
Dieser Brief, der irgendwie Gerechtigkeit bedeuten soll, reißt in mir alles noch einmal auf. Er macht auf schmerzhafte Weise klar: Selbst wenn man alles „richtig“ macht, bleibt man zurück – mit Schmerz, mit Misstrauen, mit einem Leben, das nie wieder wird wie vorher. Ich habe keine Gerechtigkeit erlebt. Ich habe einen Verwaltungsakt erlebt. Einen, der mir formal Recht gibt, aber menschlich alles falsch macht. Der sagt: Ja, das war nicht in Ordnung. Und gleichzeitig: Aber auch nicht schlimm genug, um es beim Namen zu nennen.
Was bleibt, bin ich. Mit einem zerschlagenen Sicherheitsgefühl. Mit einem Körper, der sich fremd anfühlt. Mit einem Leben, das nicht wieder leicht geworden ist. Die Scham ist nicht gegangen. Sie ist nur tiefer reingekrochen.
Trotzdem sprechen. Trotzdem da sein. Ich schreibe das nicht, weil ich abgeschlossen habe. Ich schreibe das, weil ich es nicht länger in mir einschließen will. Weil ich nicht mehr schweigen möchte, nur weil der Raum keine Sprache für meinen Schmerz kennt.
Es wird wieder passieren. Nicht nur mir. Anderen Frauen. Immer wieder. Und jedes Mal wird jemand sagen: „Missverständnis“. „Übers Ziel hinausgeschossen“. „Bedauerlich“. Und jedes Mal wird jemand hoffen, dass wir es leise ertragen. Dass wir es schlucken.
Aber ich bin hier. Nicht geheilt. Nicht stark. Aber wach.
Und wenn ich schon mit dieser Scham leben muss, dann soll sie wenigstens nicht mehr unsichtbar sein. Dann soll wenigstens klar sein:
Ich war nicht das Problem. Ich bin nicht das Problem.
Vielleicht liest das eine, die denkt: Ich dachte, ich bin allein mit diesem Gefühl.
Du bist es nicht. Und vielleicht reicht das für heute.
Ob das alles strafrechtliche Konsequenzen haben wird? Das liegt bei der Staatsanwaltschaft. Eine Einstellung des Verfahrens wäre keine Überraschung. Aber eine weitere, tiefe Verletzung.







Liebe Lin,
als Mann weiß ich da gar nicht, was ich dazu sagen soll. Wir Typen kennen vermutlich alle das Gefühl nicht. Ich wünsche dir deshalb viel Kraft. Und ich glaube auch, dass du da nicht allein bist.
Man weiß nicht, ob es irgendwas brächte, Frauen in so einer Situation Mitgefühl auszusprechen. Denn das ist es ja gerade: Das Gefühl kennen die allermeisten Menschen glücklicherweise nicht.
Von daher wünsche ich dir viel Kraft. Und ich hoffe, dass du Rückhalt im Privaten hast, der dich auffängt.
Lieber Henning,
danke, dass du dir die Zeit genommen hast, meinen Text zu lesen und mir Kraft zu wünschen – ich weiß das zu schätzen.
Du schreibst, dass Männer das Gefühl nicht kennen. Und ich glaube dir, dass es schwer ist, sich wirklich hineinzuversetzen. Aber genau hier beginnt das Problem: Wenn Männer glauben, dass es ihr Thema nicht ist, bleibt alles, was Frauen erleben, ein Randthema. Dabei brauchen wir genau das Gegenteil.
Was es brächte, wenn Männer in solchen Situationen Mitgefühl zeigen?
Ehrlich gesagt: Eine ganze Menge. Es bedeutet, dass ihr zuhört. Dass ihr den Raum nicht verlasst, nur weil es unbequem ist. Dass ihr beginnt, euch zu fragen: Was ist mein Anteil? Wo kann ich etwas verändern – bei mir, in meinem Umfeld, im System?
Nicht alle Männer sind Täter – aber alle Männer sind Teil einer Gesellschaft, die sexualisierte Gewalt noch immer verharmlost oder individualisiert.
Deshalb ist Mitgefühl nur der Anfang.
Was wir brauchen, sind Männer, die Verantwortung spüren – auch wenn sie selbst nichts „getan“ haben.
Danke, dass du dich darauf eingelassen hast. Vielleicht liegt darin ja der Anfang von Veränderung.
Liebe Lin,
es tut mir im Herzen weh, was dir passiert sein muss. Ich selbst bin zwar keine Betroffene, aber auch ich werde wütend, wenn ich deine Zeilen lese und wieder einmal begreifen muss, was für Menschen auf unserer Erde rumlaufen. Ich finde es gut, dass du darüber schreibst, denn das ist eine Sache in der wir Frauen nicht weiter schweigen dürfen, sondern unseren Mund aufmachen müssen um für uns, für unsere Rechte und für unsere Körper einstehen zu können. Es kann nicht sein, dass irgendjemand unseren Körper als sein Eigentum nimmt. Es wird Zeit, dass wir Frauen uns gegen die patriarchalen Strukturen erheben und das schaffen wir nur gemeinsam und indem wir das Schweigen brechen, laut werden und für unsere Rechte einstehen.
Liebe Katja,
Danke dir von Herzen für deine Worte.
Es tut gut, zu spüren, dass da draußen Menschen sind, die nicht betroffen sein müssen, um wütend zu werden. Denn genau das brauchen wir: Solidarität, die nicht nur mitempfiehlt, sondern mitdenkt, mitträgt, mitkämpft.
Du sagst: Wir dürfen nicht mehr schweigen.
Ich stimme dir zu – aber ich will auch ehrlich sagen: Das Schreiben ist nicht immer Mut. Manchmal ist es das Letzte, was mir bleibt. Manchmal ist es kein Aufstehen, sondern ein Festhalten an mir selbst.
Aber vielleicht ist genau das auch schon Teil der Veränderung.
Nicht stark sein müssen – und trotzdem laut.
Nicht „drüberstehen“ – und trotzdem aufrecht.
Und ja: gemeinsam.
Danke, dass du Teil davon bist.
In meinen Augen ist das bereits Teil der Veränderung. Ebenso empfinde ich es als sehr mutig, dass du darüber geschrieben hast.
Und wenn du sagst, du fühlst dich nicht stark, dann sollten wir Frauen erst recht als eine starke Gemeinschaft auftreten. Der anderen den Rücken stärken. Ich bin mir sicher, dass jede Frau, auf ganz unterschiedliche Art und Weise, schon sexualisierte Gewalt erfahren musste. Manche leider mehr wie andere. Was uns aber letztendlich alle zu betroffenen macht.
Ich beschäftige mich sehr mit dem Thema und lese aktuell das Buch ‚Spiritual Feminist‘ von Kaja Andrea Otto. Und darin finde ich so viele gute Ansätze die auch uns Frauen zum Denken anregen sollten.
Und ich bin ehrlich, die aktuellen weltlichen Entwicklungen schüren in mir auch eine gewisse Zukunftsangst.
PTBS
Ich drück dich!
Mehr nicht.
Du bist mutig!
Er war es nicht…
Mir fehlen nach wie vor die Worte, um dich zu trösten und zu stützen, aber sei dir gewiss: Ich wünsche dir all die Kraft die du brauchst und danke dir für deinen Mut hier!
Liebe Sari,
Danke dir – für deine Worte, dein Dasein, dein Drücken, dein Nicht-Schönreden.
Manchmal braucht es gar keine langen Sätze. Nur jemanden, der sagt: Ich sehe dich. Ich halte das mit aus. Und genau das hast du getan.
Ja, ich schreibe. Aber das heißt nicht, dass ich immer mutig bin. Oft bin ich einfach nur müde. Oder wütend. Oder leer.
Und trotzdem: Wenn mir jemand begegnet, der zuhört ohne zu urteilen, ohne sich wegzudrehen, dann gibt mir das ein kleines Stück Halt zurück.
Danke, dass du da bist – genau so.