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Rückspiegel (2)

Die Qual nach der Wahl

Ein Wahlergebnis zum Heulen. Sowohl für den Stadtrat, wo die potentiell progressive Mehrheit futsch ist und die Nazis zweitstärkste Partei geworden sind – mit genauso viel Sitzen wie die CDU. Die Europa-Ergebnisse ebenso niederschmetternd. Aber es sind ja nicht nur die vielen Sitze, die an die Nazis gegangen sind – das Schlimme ist, dass selbst nach den Skandalen der letzten Zeit, nach der Einstufung als gesichert rechtsextrem dennoch ein Drittel der Wählenden braun wählt. Das ist kein Protest, kein Versehen, kein Ausrutscher – die wissen, was sie tun. Man schämt sich nicht mehr, braun zu wählen. Und das ist das, was uns noch mehr Angst machen sollte, als die faulen, unfähigen Braunen im Stadtrat.

Kleiner persönlicher Lichtblick

Ich war ja noch nicht lange hier, da bin ich gefragt worden, ob ich zur Soli-Kandidatur bereit wäre. Ja, sicher. Von mir hing kein Plakat, nur ein paar Flyer wurden verteilt, Präsenz an Infoständen (wenn zum Großteil auch außerhalb meines Wahlbezirks) – und dafür habe ich 881 Stimmen bekommen. Auf dem Stimmzettel: Name, Beruf, Geburtsjahr – okay, und die einzige SPD-Frau in diesem Wahlbereich. Dafür, dass ich gerade nur etwas über ein Jahr hier bin, ein ordentliches Ergebnis, das mich überrascht hat, ich hatte auf rund 100 Stimmen gehofft, um mich nicht komplett zu blamieren. Danke für das Vertrauen!

Wahlkampfhigh- und lowlights

Vier Dinge werden mir besonders im Gedächtnis bleiben:

  1. Die Situation, in der ich befürchtet habe, dass mein Stadtverbandsvorsitzender am Infostand gleich eine reingehauen kriegt und der Aggressor erst abgehauen ist, als ich meine Kamera gezückt hab und gesagt hab „ich brauch noch mal ein Foto“ – da hab ich ganz schön Schiss gehabt.
  2. Überraschend viele gute Gespräche und positive Reaktionen „ich wähl euch“/“hab euch schon gewählt“/“Viel Glück!“ …. Das war in der Summe mehr als das primitive Gepöbel, das tat gut. Danke dafür!
  3. Konspiratives Banneraufhängen… Psst. 😀
  4. Das (sehr kurze) Wiedersehen mit jemanden, der mir mal wichtig war, und der Karriere gemacht hat: „Was machst Du denn hier?“ 🙂

Stadtradeln

In der letzten Woche war so viel Wahlkampf, dass (fast) keine Zeit für extra Runden geblieben ist, von daher habe ich in der zweiten Stadtradelwoche deutlich weniger Kilometer gesammelt. Nur eine kurze, aber sehr schöne Tour an einem lauen Sommerabend war drin. Gestern habe ich noch Schlaf von der langen Wahlnacht nachholen müssen, heute auf dem Rückweg von der Arbeit bin ich mal wieder in einen Regenschauer gekommen. Morgen! Eine Mittagsrunde im Team ist geplant, wenn’s nach der Arbeit noch annehmbare Temperaturen hat und trocken ist, könnte ich auch noch eine längere Runde drehen.

Mehr Musik!

So viele Konzerte, die mich interessiert haben, gab es vor Corona in Peking nicht. Für Slash, Myles Kennedy & The Conspirators und für Snow Patrol habe ich eine Karte ergattern können – mehr war nicht. Umso eindrücklicher sind beide Konzerte im Gedächtnis geblieben. Und ich wunder mich über mich selbst, dass ich das hier noch nicht wirklich angegangen bin – bis jetzt. Letzte Woche bin ich darüber gestolpert, dass die Red Hot Chili Pipers im November nach Magdeburg kommen. Weil ich diesen Song sehr mag, hab ich nicht lang gefackelt, und mir ein Ticket gesichert. Tom Walker kommt allerdings nicht mit. 😉

Als ich dann mitbekommen hab, dass Snow Patrol im Februar nach Berlin kommt, habe ich direkt zugeschlagen. Das wird sicher spannend allein wegen der Unterschiede Tempodrom in Berlin und Unplugged im Tango in Beijing.

Allein, allein…

Es ist nur schade, dass es niemanden gibt, mit dem ich das teilen könnte, aber so ist es nun mal. Die Lebensphasen, in denen man leichter Freund*innen findet, liegen ja schon ein Weilchen zurück bei mir, und zurück zur Schule und Uni will ich in Wahrheit auch nicht. Nur, hier hat keiner auf mich gewartet, die Leute haben ihr langjährig gewachsene soziales Umfeld. Ich hasse es, so „bedürftig“ zu sein, finde es seltsam, wie sehr ich mich über jede freundliche Geste freue –  und ich bin gleichzeitig so dankbar dafür.

Mein zweites Jahr in Magdeburg hat begonnen, wird Zeit, dass es auch auf der Beziehungsebene aufwärtsgeht. Vom Tindern hab ich allerdings nach 30 Minuten schon ein Schleudertrauma vom Kopfschütteln gehabt und direkt wieder deinstalliert – da klingt allein und einsam auf einmal doch ganz verlockend… 😉

Bild der Woche

Ja, ich weiß, habe ich vernachlässigt – ich gelobe Besserung. Fotografiert habe ich auch, nur zum auswählen und sonntäglichen hochladen bin ich nicht gekommen, werde ich nachtragen. Sollte ab jetzt wieder pünktlich sonntags online gehen können.

 

Nie wieder ist jetzt

Ein starkes Zeichen gegen Rechts

Ein breites Bündnis hatte zur Demo gegen Rechts am 17. Februar 2024 aufgerufen – über 100 Organisationen, darunter Gewerkschaften, Kirchen, Parteien… Und gerade Letzteres habe ich als sehr positiv empfunden, denn auf den letzten Veranstaltungen gegen Rechts wurde von vereinzelten Rednern Regierungsparteien in die Nähe der AfD gerückt. Das. Geht. Gar. Nicht. Das ist geschichtsvergessen, grundfalsch und dumm und hat mit berechtigter (!) Kritik NULL zu tun.

Es wird Zeit, dass begriffen wird: wir können jetzt nicht über Halbsätze und andere Kleinigkeiten streiten, denn wir brauchen ein breites Bündnis, um den blaubrauen Sumpf auszutrocknen, bevor es zu spät ist. Wohin eine gespaltene Linke führt, haben wir (bzw. unsere Eltern, Großeltern, Urgroßeltern) im letzten Jahrhundert gesehen. Die Situation ist so bedrohlich, wir brauchen alle demokratischen Parteien an Bord, auch wenn sie nicht „links“, sondern konservativ oder liberal sind.

Jetzt ist die Zeit, kompromissfähig zu sein und bei allem, was sonst trennt, in einem klar gemeinsam einig zu sein: Kein Fußbreit dem Faschismus.

Dem Aufruf sind viele gefolgt. Klar, die absoluten (und relativen) Zahlen in Hamburg, Berlin, München sind beeindruckend. Aber hier erfordert es tatsächlich ein Quantum Mut, um sich aufzumachen – der Anteil der Blaubraunen ist hier deutlich höher, die Bedrohung ist real. Und von daher sind die 5-6000 Menschen, die hier auf die Straße gegangen sind, ein großer, ermutigender Erfolg. Nun heißt es: Dranbleiben.

Ein Satz aus den vielen Reden, der mich besonders berührt hat:

Wir sind hier nicht vor dreißig Jahren vom Dom aus losgegangen, um heute 90 Jahre früher anzukommen.

Fotos

Es geht los am Hauptbahnhof:

Natürlich sind die Omas gegen Rechts mit dabei!

Und „Bärte gegen Rechts“ sind auch dabei:

Der Demonstrationszug kommt am Dom an.

Demo gegen Rechts, Magdeburg, SW-Bild

Während der Kundgebung auf dem Domplatz – Blick auf den Dom:

Und auf den Landtag und in Richtung Bühne:

Die Partei ist auch dabei:

 

Hoffnung?

Wir sind mehr

Natürlich hängt mein Herz noch an Hamburg, und wenn in Hamburg Gutes passiert, freut mich das. Dass die Demo gegen Rechts wegen Überfüllung abgebrochen werden musste, stimmt mich besonders froh. Selbiges gerade in München. Und überall in der Republik kommen Tausende, Zehntausende, in der Summe Hunderttausende zusammen.

Aus Magdeburg gibt es nicht ganz solche Rekordzahlen zu vermelden, allerdings ist hier schon die ganze Woche über Aktionswoche gegen Hass und Hetze – und das war erfolgreich: Naziaufmärsche anlässlich des Jahrestags der Zerstörung Magdeburgs im 2. Weltkrieg hat es nicht gegeben. Auch das ist eine sehr gute Nachricht.

Zusammenhalt ist nötig

Kurzer Exkurs: schon wieder höre ich von Konflikten innerhalb der Aktiven, wer mit wem gemeinsam aufrufen kann und wer nicht beim organisieren dabei sein soll; Abgrenzungen oder Unwille zur Zusammenarbeit, weil man mit einzelnen Positionen, Parteien (demokratischen!) oder Personen Probleme hat. Das gab es schon mal, und wir wissen, wo’s hingeführt hat. Aktuell geht es um nichts weniger als die Verteidigung der Demokratie bevor die Demokratiefeinde diese abschaffen. Diese Spaltung und Zersplitterung stimmt mich traurig.

Wenn nicht mal die fortschrittlichen Kräfte in der Lage sind, mit Kompromissen und Widersprüchen zu leben, wie sollen dann die Verblendeten, Verführten überzeugt werden, die auf die vermeintlich simplen Antworten der AfD auf die komplexen Herausforderungen unserer Zeit hereinfallen?

Wann, wenn nicht jetzt?

Die Umfragewerte der AfD sind bedrückend, viel zu hoch. Dass – regional unterschiedlich ausgeprägt – bis zu einem Drittel der Leute sich bei denen wiederfindet, ist erschütternd. Hat die Gesellschaft und besonders das Bildungssystem so krass versagt, nicht nur bei der Vermittlung von Geschichte, sondern auch von Werten?

Da schenkt es gerade ein bisschen Hoffnung, dass die schweigende Mehrheit nicht mehr schweigt, sondern überall im Land laut und sichtbar wird. Aber so ermutigend das ist: es wird nicht reichen, ist aber hoffentlich Anstoß, entschlossener gegen die AfD vorzugehen.

AfD-Verbot jetzt auf den Weg bringen

Denn Hoffnung und der Hashtag #wirsindmehr allein, das reicht nicht. Seit der Correctiv-Berichterstattung über das Potsdamer Treffen sollte jedem und jeder klar sein, wohin die Reise mit der AfD geht. Es ist höchste Zeit für ein Verbot. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes standen noch unter dem direkten Eindruck des Dritten Reichs und haben sich etwas dabei gedacht, als sie das Instrument des Parteienverbots entwickelt haben. Ich kann das Gegenargument „man muss die AfD politisch stellen“ nicht mehr hören – das ist zwar auch wichtig, klappt dennoch seit vielen Jahren nicht, die AfD ist im Aufwind. Das mit der Medienkritik lasse ich heute mal außen vor, false balance und Co. haben aber auch einen nicht zu unterschätzenden Anteil am Aufstieg der Blaubraunen.

Ein Verbotsverfahren wird sich jahrelang hinziehen, und wenn’s ganz übel läuft, könnte es scheitern. Aber beides ist kein Grund, es nicht zu tun. Chan-Jo Jun, Anwalt und unter anderem am Bayrischen Verfassungsgerichtshof tätig, glaubt, dass selbst ein gescheitertes Verbotsverfahren der Demokratie nutzen könnte, weil es die AfD zwänge, sich zu entradikalisieren. Aber das Scheitern ist unwahrscheinlich, die Situation heute ist doch eine andere als beim NPD-Verfahren.

AfD-Verbot ist das eine, das andere ist, dass damit das braune Gedankengut nicht aus den Köpfen der AfD-Anhänger ist. Ich wünsche mir, dass der Rechtsstaat seine Mittel stärker ausschöpft: in den Reihen der Bundeswehr und der Polizei (wieviele Ekel-Chats sollen denn noch bekannt werden, bevor sich was tut?), in der Lehrerschaft, in Behörden (gerade in Ausländerbehörden sollte mal genauer hingeschaut werden). Schluss mit der angeblichen Toleranz, die nichts weiter ist als Beliebigkeit. (Den Popper-Exkurs spare ich mir jetzt mal.)

Das „politische Stellen der AfD“ muss trotzdem weiter betrieben werden, hoffentlich mit mehr Erfolg als bisher. Da geht es vor allem auch um Werte. Mit Hass und Hetze, Neid und Missgunst lässt sich keine gute Politik machen. Wer an einer guten Zukunft arbeiten will, muss die Menschen mögen und auch mal gönnen können (bzw. das vermitteln können und nicht direkt immer umfallen). Es braucht beides: AfD-Verbot und gute Politik.