Das Nest ist leer

Heute Morgen ist mein Jüngster aufgebrochen. Ein Koffer so groß wie sein Mut und größer als er selbst bei der Einschulung, ein Flugticket nach Asien, wo er ein Gap Year verbringen wird. Ich freu mich sehr für ihn, sowas hätte ich auch gerne gemacht, aber ich war im Abi ja schon schwanger.

Jetzt ein dicker Kloß in meinem Hals. An diesem Tag das letzte Mal ein Kind losgelassen.

1988 – 1992 – 1994 – 2004 – 2006

Meine innere Uhr tickt in Geburtsjahren. Mein Kalender war jahrzehntelang gefüllt mit Kinderturnen und Mamataxi, Elternabenden und Kinderarztbesuchen („Bitte begeben Sie sich in den Seuchenraum…“), Brotdosen und Bioexperimenten, Schulfesten, Pfadfinderheim und Turnhallen, Schwimmen lernen und Musikunterricht, Wäschebergen, Lachen und Tränen, Trotz, Umarmungen, Plänen und Chaos, Antreiben und Bremsen, Erste Male und Letzte Male.

Heute also ein Letztes Mal. Tschüss, mein Baby, mein Kleiner (der mich schon lange überragt).

Ich könnte weinen — oder ich könnte tanzen. Wahrscheinlich mache ich beides. Fünf Menschen, die trotz und wegen mir so großartig sind, wie sie sind. Ich habe mich jahrzehntelang in diesen fünf Menschen wiedergefunden. Jetzt muss ich nachschauen, wer da noch übrig ist, wenn keiner mehr fragt, wo seine Turnschuhe sind.

Vielleicht fange ich an, Bilder zu sammeln — aber nur hässliche. Vielleicht spiele ich alleine Singstar, ohne dass jemand die Augen verdreht und murmelt: „Peinlich, Mama.“ Vielleicht fange ich an, mit mir selbst zu reden — ach was, das mache ich eh schon.

Ich weiß, dass ich mich selbst wieder zusammenpuzzeln kann, zuletzt der Missbrauch Anfang des Jahres und der gerade so halbwegs überstandene Fahrradunfall — Narben auf Haut und Seele. Und immer wieder Umzugskartons im Außen, und innen mein Herz, das wieder zusammenwächst.

Wehmut? Ja. Dankbarkeit? Riesig. Angst? Ein bisschen. Lust aufs Leben? Immer.

Ab heute bin ich dran.