Rückspiegel (7) oder: Bin wieder da

Die letzte Zeit im Rückspiegel: Alltagsbeobachtungen, Anekdoten, Gedanken, die in wenigen Zeilen erzählt sind oder mit einem Bild (oder vielen) ausgedrückt werden können.

Radunfall

Krankenhausbett aus der Perspektive der im Bett liegenden mit Monitor gegenüber vom BettEnde Juni hatte ich einen Fahrradunfall, der mir eine Blaulichtfahrt ins Wolfsburger Krankenhaus samt Rendezvous unterwegs mit einer Notärztin eingebrockt hat. Bremse nur leicht angetippt, aber Vorderrad hat blockiert, unschöner Salto über den Lenker, der mir wohl in den Bauch gedonnert ist, mit dem Kopf gebremst und auf die linke Seite aufgeschlagen. Ich hab noch Glück im Unglück gehabt, „nur“ Gehirnerschütterung, und alles auf der linken Seite geprellt, was geht. Wäre ich ohne Helm oder geringfügig schneller unterwegs gewesen – bloß nicht dran denken. Drei Wochen war ich lahmgelegt und habe gefürchtet, dass meine geplante China-Reise ausfallen muss. Aber am Tag vorm geplanten Abflug waren Röntgenbild und Lungenfunktionstest deutlich besser: arbeiten bzw. urlauben (und fliegen!) wieder erlaubt. Uff.

Urlaub in China

Als erste Aktion nach so langem Rumliegen gleich einen Langstreckenflug anzutreten, war schon sportlich, also nach der Ankunft erstmal wieder hingelegt. Es folgte eine fürchterliche Nachricht aus Deutschland, die durchwachte Nächte nach sich zog. Dazu die Hitze (36 Grad, gefühlt noch heißer), die ich nicht mehr gewöhnt bin – ich musste es wirklich langsam angehen lassen.

Relaxen auf Hainan

Dann bin ich nach Sanya weitergeflogen, um mich dort richtig zu erholen. Gute Entscheidung, ich habe „gar nix muss ich“ zum Urlaubsmotto erhoben, ganz viel geschlafen, aufs südchinesische Meer geguckt, gelesen, geplantscht, gedöst und – völlig untypisch für mich – keinen einzigen Ausflug gemacht, nur kurze Spaziergänge.

Und genau das war das, was ich gebraucht habe. Abstand tut gut, nicht nur der räumliche Abstand, sondern auch die Zeitverschiebung: ich war komplett aus der Welt gefallen und ganz für mich und ganz bei mir. Das tat unglaublich gut. Und jetzt habe ich gute Gründe, irgendwann wieder auf die Insel zu fliegen, da gäbe es tatsächlich einiges zu entdecken und zu unternehmen. Mein Timing war gut: Während ich auf Hainan war, ist Peking untergegangen, und der Tsunami hat es nicht bis Hainan geschafft.

 

Streifzüge durch Peking

Die Verbotene Stadt in Peking vom Kohlehügel aus gesehen

Zurück in Peking habe ich Freundinnen getroffen, Lieblingsorte wieder aufgesucht (z.B. Shichahai, Kohlehügel und den Art District 798) und neues entdeckt (Tempel für Landwirtschaft, der gleichzeitig auch Architekturmuseum ist). Näheres dazu demnächst drüben im Pekingblog. Zwischendrin immer wieder entweder Starkregen, so dass Berge und Mauer kein sicheres Ziel gewesem wären oder es in Richtung Katastrophentourismus gegangen wäre. Immerhin war der Regen warm. Insgesamt krasse Hitze, bin ich nicht mehr dran gewöhnt (gefühlte 45 Grad haben mich an einem Tag dann doch umgehauen). Aber alles, was ich diesmal nicht geschafft habe – läuft nicht weg, nächstes Mal.

Peking ist ganz vertraut einerseits, andererseits gilt nach wie vor: das einzig Beständige in Peking ist der schnelle Wandel. Wow, was hat sich der Liangmafluss verändert, eine Oase mitten im Botschaftsviertel. Wie schnell die neuen Hochhäuser im CBD in die Höhe schießen und sich die Ansichten ändern! Nur die neue Mall, wo früher mal der große Flowermarket war, die ist noch nicht fertig.

Pekings CBD (Central Business District) - Blick bei Nacht aus der Atmosphere Bar, 80. Etage

Ich habe mein Leben in Peking geliebt und denke gerne daran zurück. Und ich werde sicher auch künftig immer wieder mal nach China reisen. Aber es ist nicht mehr mein Zuhause, das Kapitel ist abgeschlossen, und so war es auch in dieser Hinsicht ein wohltuender Urlaub.

Der Alltag hat mich (fast) wieder

Da ich schon vor 4 dank Jetlag hellwach war und dafür später wieder fest eingeschlafen bin, habe ich die heutige Gedenkveranstaltung zu den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki versäumt. Dafür fühle ich mich nun fit genug für John Garner im Volksbad Buckau, das wird sicher ein schöner, unbeschwerter Sommerabend. Mit der Umgestaltung meiner Wohnung lasse ich  mir Zeit, habe nur schon damit angefangen, des Juniors Hinterlassenschaften zusammenzupacken und gut zu verstauen. Morgen lass ich es auch noch mal ruhig angehen, bis mich am Montag dann der Alltag wieder hat – nach über sechs Wochen. Höchste Zeit!

 

 

Nie wieder Hiroshima, nie wieder Nagasaki – warum wir die nukleare Bedrohung nicht vergessen dürfen

Morgen, am 6. August, ist Hiroshima-Gedenktag. Vor 80 Jahren wurde die erste Atombombe auf Hiroshima und drei Tage später eine weitere auf Nagasaki abgeworfen. Diese Gedenktage sind nicht einfach nur Zahlen im Kalender, sondern dahinter steht entsetzliches, massenhaftes Leid. Diese Gedenktage erinnern mich daran, wie zerbrechlich alles ist, was wir oft für selbstverständlich halten: Frieden, Sicherheit, Zukunft. Diese Gedenktage bewegen mich jedes Jahr aufs Neue, denn sie holen auch eine Angst zurück, die mich schon als Kind heimgesucht hat – und die heute wieder erschreckend real wird.

Die Abwürfe, die alles veränderten

Am 6. August 1945 wurde Hiroshima durch die erste im Krieg eingesetzte Atombombe zerstört. Drei Tage später traf es Nagasaki. Hunderttausende Menschen starben sofort oder an den Spätfolgen. Ganze Städte verschwanden in einer Wolke aus Hitze, Druckwelle und radioaktiver Strahlung. Befürworter der Abwürfe behaupten, diese hätten den Krieg beendet. Aber sie haben auch etwas begonnen: das atomare Zeitalter. Plötzlich wusste jeder: Mit einem Knopfdruck kann die Menschheit sich selbst auslöschen.

Die Angst meiner Kindheit

Ich bin mit dieser nuklearen Bedrohung aufgewachsen, als Kind habe ich mich gefürchtet, dass irgendwann einer den roten Knopf drückt. Und dann kam der Film The Day After, dessen Bilder mich wochenlang verfolgt und um den Schlaf gebracht haben: Pilzwolken, gleißendes Licht, brennende Städte – haben mich nachts nicht mehr losgelassen. Ich konnte kaum schlafen. Tagsüber habe ich mir ausgemalt, wo in Hamburg die Bombe einschlagen würde, ob ich überleben könnte, wo ich mich verstecken könnte. Der Film war die Illustration meiner eh vorhandenen Ängste, die mich lange Zeit begleitet haben.

Die Erleichterung, als die Mauer fiel: Das Ende der Geschichte?

Und dann kam dieser Moment, der wohl nicht nur mich mit viel Zuversicht erfüllt hat: der Zusammenbruch des Ostblocks. Das war nicht nur die deutsche Wiedervereinigung, sondern die Angst vor dem dritten Weltkrieg hat sich verflüchtigt: Abrüstung jetzt, wir brauchen keine Waffen mehr, Frieden ist möglich.

Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama schrieb damals vom „Ende der Geschichte“. Die liberale Demokratie habe gesiegt, die großen Systemkämpfe seien vorbei. Ich weiß, dass man Fukuyamas These später kritisch hinterfragt hat – aber für mich fühlte sich diese Zeit tatsächlich so an. Friedlicher, sicherer. Kein Wettrüsten mehr, Schluss mit der permanenten nuklearen Bedrohung. Die schlaflosen Nächte wurden weniger. Vielleicht naiv, hat sich trotzdem gut angefühlt.

Und jetzt: Zurück in die Bedrohung?

Doch es folgte der Jugoslawienkrieg. 9/11. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Der grauenhafte Überfall der Hamas und die schrecklichen Folgen. Und diese Liste ist nicht einmal vollständig. Vom Weltfrieden sind wir wieder weit entfernt, unsere Sicherheit war brüchiger, als ich dachte. Wenn der Präsident der USA öffentlich damit prahlt, Atom-U-Boote in Richtung Russland zu schicken – dann wird mir schlecht. Dann bin ich wieder das Kind vor dem Fernseher, das sich fragt: Was passiert, wenn einer von ihnen wirklich auf diesen Knopf drückt? Wir leben in einer Zeit, in der wieder offen über atomare Drohungen gesprochen wird. Verträge werden aufgekündigt, neue Sprengköpfe entwickelt, Machtspiele gespielt, Autokraten drohen mehr oder weniger unverblümt mit Nuklearwaffen. Die Gefahr eines nuklearen Konflikts ist so real wie seit den 80ern nicht mehr.

Hiroshima und Nagasaki verpflichten uns

Gleichzeitig verschwindet die Erinnerung an die, die es erlebt haben. Die Stimmen der Hibakusha (japanisch für die Überlebenden der Atombomben) werden leiser und werden in absehbarer Zeit ganz verstummen.

Abrüstung ist keine naive Utopie. Sie ist eine Notwendigkeit. Und sie beginnt mit Erinnerung – und mit der klaren Haltung, dass wir unsere Zukunft nicht in den Schatten eines roten Knopfes stellen dürfen. Wer heute sagt, nukleare Abrüstung sei gefährlich, irrt gewaltig. Gefährlich ist, zu glauben, wir könnten ewig mit dieser Bedrohung spielen, ohne dass sie irgendwann Wirklichkeit wird.

Ich will nicht, dass meine Kinder oder Enkel einmal so schlafen – oder nicht schlafen – wie ich nach The Day After. Ich will nicht, dass Politiker mit roten Knöpfen prahlen. Ich will, dass Diplomatie, internationale Verträge, Abrüstung und Dialog wieder selbstverständlich werden. Sicherheit entsteht nicht durch Abschreckung, sondern durch Vertrauen, Transparenz und Abrüstung. Das ist keine linke Träumerei – das ist nüchterner Selbstschutz.

Erinnern heißt handeln

Für mich ist der Hiroshima-Gedenktag keine historische Pflichtübung, sondern ein Tag, an dem mir besonders bewusst ist, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist. Dass die nukleare Bedrohung nicht der Vergangenheit angehört. Und dass es unsere Verantwortung ist, wachsam zu bleiben. Wir dürfen uns nicht einreden lassen, dass nukleare Abschreckung Sicherheit bedeutet. Was uns wirklich sicher macht, ist Abrüstung, Dialog, Diplomatie. Und der Mut, sich diesem Thema immer wieder zu stellen – auch wenn es Angst macht.

Nie wieder Hiroshima. Nie wieder Nagasaki. Das darf nicht nur ein Spruch auf einem Kranz sein.

Ein Zeichen setzen?

Magdeburg erinnert sich am 9. August 2025 ab 10 Uhr auf dem Lukashügel an der Stele der Völkerfreundschaft. Weitere Informationen dazu finden sich hier.

Dieses Posting ist mein Beitrag zur Blogparade #relevant zum Thema „Gedenktage“. Alle Informationen dazu sowie weitere Artikel zum Thema findest Du hier.

Das Nest ist leer

Heute Morgen ist mein Jüngster aufgebrochen. Ein Koffer so groß wie sein Mut und größer als er selbst bei der Einschulung, ein Flugticket nach Asien, wo er ein Gap Year verbringen wird. Ich freu mich sehr für ihn, sowas hätte ich auch gerne gemacht, aber ich war im Abi ja schon schwanger.

Jetzt ein dicker Kloß in meinem Hals. An diesem Tag das letzte Mal ein Kind losgelassen.

1988 – 1992 – 1994 – 2004 – 2006

Meine innere Uhr tickt in Geburtsjahren. Mein Kalender war jahrzehntelang gefüllt mit Kinderturnen und Mamataxi, Elternabenden und Kinderarztbesuchen („Bitte begeben Sie sich in den Seuchenraum…“), Brotdosen und Bioexperimenten, Schulfesten, Pfadfinderheim und Turnhallen, Schwimmen lernen und Musikunterricht, Wäschebergen, Lachen und Tränen, Trotz, Umarmungen, Plänen und Chaos, Antreiben und Bremsen, Erste Male und Letzte Male.

Heute also ein Letztes Mal. Tschüss, mein Baby, mein Kleiner (der mich schon lange überragt).

Ich könnte weinen — oder ich könnte tanzen. Wahrscheinlich mache ich beides. Fünf Menschen, die trotz und wegen mir so großartig sind, wie sie sind. Ich habe mich jahrzehntelang in diesen fünf Menschen wiedergefunden. Jetzt muss ich nachschauen, wer da noch übrig ist, wenn keiner mehr fragt, wo seine Turnschuhe sind.

Vielleicht fange ich an, Bilder zu sammeln — aber nur hässliche. Vielleicht spiele ich alleine Singstar, ohne dass jemand die Augen verdreht und murmelt: „Peinlich, Mama.“ Vielleicht fange ich an, mit mir selbst zu reden — ach was, das mache ich eh schon.

Ich weiß, dass ich mich selbst wieder zusammenpuzzeln kann, zuletzt der Missbrauch Anfang des Jahres und der gerade so halbwegs überstandene Fahrradunfall — Narben auf Haut und Seele. Und immer wieder Umzugskartons im Außen, und innen mein Herz, das wieder zusammenwächst.

Wehmut? Ja. Dankbarkeit? Riesig. Angst? Ein bisschen. Lust aufs Leben? Immer.

Ab heute bin ich dran.

Schweigen, decken, weitermachen

Gestern Abend war ich im Kino, habe den Ritt durch ein wildes, schräges, krass übertriebenes Abenteuer genossen. Zwei Stunden perfekte Realitätsverweigerung im Kino – dann schalte ich mein Handy ein. Die erste Schlagzeile: „Vorwurf der sexuellen Belästigung gegen CDU-Politiker aus Sachsen-Anhalt“.

Der Abend war für mich gelaufen, denn mich hat das in meinen eigenen Schmerz zurückgeworfen: Ekel, Scham, Angst.

Oft werden solche Übergriffe als Einzelfälle abgetan – als wäre es „nicht so schlimm“ oder sie „stelle sich nur an“. Aber nein: Es sind keine Einzelfälle. Und es ist schlimm. Denn wer sexualisierte Gewalt erlebt, wird nicht ernst genommen – sondern entmenschlicht, objektifiziert, zum Spielball männlicher Macht.

Das „Sorry“-Phänomen: Bagatellisierung durch Männer

Inzwischen ist Kurze als parlamentarischer Geschäftsführer, nicht aber als Abgeordneter zurückgetreten. Er werde sich bei der Betroffenen entschuldigen – und glaubt, dass ihn das aus der Verantwortung nimmt? Das ist ein weit verbreiteter Abwehrmechanismus.

Männer in Machtpositionen nutzen Übergriffe, um ihre Dominanz zu festigen. Institutionen decken Täter oft – und die Opfer bleiben isoliert und in der Minderheit.

Durch die schnelle Entschuldigung wird die Situation verniedlicht, man beruft sich auf Missverständnisse oder betont, es sei ja nur einmal vorgekommen. Das funktioniert besonders gut bei Machtgefällen – und die Männer beanspruchen noch im Nachinnein die Deutungshoheit.

In seiner Erklärung betonte Kurze, er habe „die Situation offensichtlich falsch eingeschätzt“ und bedaure, „die Gefühle der betroffenen Frau verletzt“ zu haben. Er wolle sich bei ihr persönlich entschuldigen.

Was auf den ersten Blick nach Einsicht klingen mag, ist bei genauerem Hinsehen ein rhetorischer Rückzug in die Deckung – und vor allem: keine echte Übernahme von Verantwortung.

Das Problem heißt nicht „falsche Einschätzung“

Wer von einer „falschen Einschätzung“ spricht, gesteht kein Fehlverhalten ein, sondern stilisiert sich zum Opfer eines Missverständnisses. Doch sexuelle Belästigung ist keine Frage der Deutung – sie ist ein Übergriff. Sie nimmt einem anderen Menschen die Würde, die Sicherheit, die Autonomie. Wer sie begeht, handelt nicht „unglücklich“ oder „unbedacht“, sondern übergriffig.

„Es tut mir leid, dass du dich verletzt fühlst“

Diese Form der Entschuldigung verschiebt die Verantwortung auf die Betroffene. Es geht nicht um ihre Gefühle, sondern um sein Verhalten. Nicht sie ist das Problem – sondern er. Wer so spricht, lenkt ab. Und das ist Teil eines größeren Musters.

Keine klare Haltung, keine Führungsverantwortung

Kurze ist zwar relativ zügig nach Bekanntwerden des Vorwurfs als parlamentarischer Geschäftsführer zurückgetreten – aber dazu hat auch die öffentliche Empörung beigetragen. Was fehlt, ist eine klare Positionierung der CDU-Spitze. Wenn Fraktionschef Heuer sagt „deshalb nehme ich seine Entscheidung mit Respekt zur Kenntnis“, dann ist das mehr als unangebracht und keine Führungsverantwortung, die hier nötig gewesen wäre. Mal wieder ein Deal hinter verschlossenen Türen, ein Du-du-du als Strafe – und die Betroffene kann sehen, wo sie bleibt?

Die institutionelle Schonhaltung

Dass Kurze nicht wegen seines Fehlverhaltens zurücktritt, sondern weil „die Zusammenarbeit im Parlament beeinträchtigt“ sei, ist bezeichnend. Der Schaden entsteht demnach nicht durch die Tat, sondern durch die öffentliche Thematisierung. Das Opfer? Unsichtbar. Die Struktur? Geschont.

Auch der Kommentar seines Fraktionsvorsitzenden Guido Heuer folgt dieser Logik: „Die Vorwürfe wiegen schwer.“ Mehr nicht. Kein Wort des Schutzes für die Betroffene. Kein politisches Signal gegen Machtmissbrauch. Schweigen im Dienste der Stabilität. Die Presseerklärung der CDU ist ein Musterbeispiel für:

  • Täterzentrierung
  • Emotionalisierte Entschuldigungsrhetorik
  • Vermeidung konkreter Verantwortung
  • Strukturelles Schweigen zum eigentlichen Problem: Sexismus und Machtmissbrauch

Sie zeigt einmal mehr, dass es in solchen Fällen weniger um Aufarbeitung geht – und mehr um Schadensbegrenzung im System.

Wir brauchen einen gesellschaftlicher Kulturwandel

Männer müssen lernen, dass eine Entschuldigung nie ausreichend ist und dass Verantwortung heißt: Zuhören, Konsequenzen akzeptieren, Verhaltensänderung. Der gesellschaftliche Diskurs muss „Sorry“-Mentalitäten durchbrechen.

Einzelfall? Ganz sicher nicht.

Was hier als isoliertes Missverständnis inszeniert wird, ist in Wahrheit Teil des patriarchalen Systems. Übergriffe passieren nicht im luftleeren Raum – sie werden ermöglicht durch Machtgefälle, Abhängigkeiten, Männerbünde und Schweigekartelle.

Und wenn sie bekannt werden, folgt meist ein bekanntes Drehbuch: Erst das Kleinreden. Dann das Bedauern. Schließlich der Rückzug – nicht aus Verantwortung, sondern zur Schadensbegrenzung.

„Sorry“ ist keine Aufarbeitung

Solange Männer glauben, mit einer persönlichen Entschuldigung sei es getan, bleibt alles beim Alten. Es braucht nicht nur Rücktritte, sondern Aufklärung. Nicht nur Betroffenheit, sondern Konsequenzen. Nicht nur Entschuldigungen, sondern strukturellen Wandel.

Was jetzt zählt

Sexualisierte Gewalt ist keine Privatsache. Sie ist politisch. Und sie ist systemisch. Wer sich wirklich glaubwürdig verhalten will, muss aufhören, um den heißen Brei zu reden – und anfangen, die Dinge beim Namen zu nennen: Machtmissbrauch. Sexismus. Übergriffigkeit. Und zwar unabhängig davon, ob sie strafrechtlich relevant sind oder nicht.

Die politische Kultur, die solche Taten duldet, schützt oder verschweigt, muss sich ändern. Und das fängt damit an, dass wir nicht mehr so tun, als sei es „nur ein Einzelfall“. Solange Schweigen politisch opportuner ist als Solidarität mit Betroffenen, bleibt alles wie es ist. Aber wir schulden es allen, die nicht mehr schweigen können: endlich hinzuschauen. Und zu handeln. Für alle Frauen. Und für mich.

 

Es. Tut. Weh.

Ich habe einen Sieg errungen, der sich anfühlt wie eine Niederlage. Der Täter wird Konsequenzen tragen müssen – welche genau, werde ich nie erfahren. Ich halte ein Schreiben in den Händen. Darin steht: „übers Ziel hinausgeschossen“. Und: „Er bedaure“. Die Formulierungen zerreißen mich innerlich.

Das ist, was bleibt. Ein lapidares „Upsi“, während mein Leben in Trümmern liegt. Ich sitze hier mit zitternden Händen, Herzrasen und Bildern im Kopf, die nicht verschwinden wollen. „Übers Ziel hinausgeschossen“, sagt er – dabei war es Grenzüberschreitung. Übergriffigkeit. Machtmissbrauch. Missbrauch.

Aber ja: Das Verhalten wird – wie auch immer – geahndet. Ich habe also „gewonnen“. Irgendwie. Doch die Wahrheit ist: Ich hatte von Anfang an verloren.

Der eigentliche Verlust begann viel früher. In dem Moment, in dem mein Körper nicht mehr mir gehörte. In dem mein Kopf nur noch Flucht plante, ich aber eingefroren bin. Überlebt habe ich irgendwie – neben mir stehend.

Heute habe ich eine Diagnose: PTBS. Ich gehe mit Pfefferspray durch Tag und Nacht. Ich zucke bei Geräuschen zusammen. Ich kann Menschen nicht mehr trauen. Ich fühle mich selten sicher – nicht einmal in meinem eigenen Körper. Und selbst wenn ich mich doch mal sicher fühle, triggert irgendetwas ganz Banales. Mein Nervensystem weigert sich, zur Ruhe zu kommen. Ich habe gelernt, meine Angst zu tarnen, damit niemand sieht, wie kaputt ich bin.

Ich habe gehofft, dass es etwas verändert, wenn ich spreche. Dass sich etwas bewegt, wenn ich den Mut finde, nicht nur zu erleiden, sondern zu benennen. Doch dann kam der Brief. Und da stand nicht Gerechtigkeit. Da stand nicht Anerkennung. Da stand: „Er bedaure“. Da stand: „schwierig“. Da stand sinngemäß: Ups.

Ich könnte schreien. Stattdessen: Schmerz. Ohnmacht. Ich wünschte, ich könnte das herausschreien.

Wie soll ich nun reagieren auf eine Welt, die mich so beiläufig abtut? Wie soll ich weiterleben in einem Körper, der dauernd Alarm schlägt, während das System Akten schließt? Das System schützt sich selbst. Nicht mich.

Ich bin müde. Nicht nur von den Nächten, in denen ich nicht schlafen kann. Sondern von der Dauer dieser Unsicherheit. Der Einsamkeit. Der ständigen Frage: Bin ich zu empfindlich? Und ich weiß: Diese Frage ist nicht meine. Sie wurde mir vom System aufgeladen. Müsste es jetzt nicht so langsam mal gut sein? Ich wünschte, das wäre so. Wenn ich das beschließen könnte: sofort. Zack, alles wieder gut. Aber so funktioniert das nicht.

Was bleibt: Keine Antworten. Keine Heilung. Nur Narben.

Dieser Brief, der irgendwie Gerechtigkeit bedeuten soll, reißt in mir alles noch einmal auf. Er macht auf schmerzhafte Weise klar: Selbst wenn man alles „richtig“ macht, bleibt man zurück – mit Schmerz, mit Misstrauen, mit einem Leben, das nie wieder wird wie vorher. Ich habe keine Gerechtigkeit erlebt. Ich habe einen Verwaltungsakt erlebt. Einen, der mir formal Recht gibt, aber menschlich alles falsch macht. Der sagt: Ja, das war nicht in Ordnung. Und gleichzeitig: Aber auch nicht schlimm genug, um es beim Namen zu nennen.

Was bleibt, bin ich. Mit einem zerschlagenen Sicherheitsgefühl. Mit einem Körper, der sich fremd anfühlt. Mit einem Leben, das nicht wieder leicht geworden ist. Die Scham ist nicht gegangen. Sie ist nur tiefer reingekrochen.

Trotzdem sprechen. Trotzdem da sein. Ich schreibe das nicht, weil ich abgeschlossen habe. Ich schreibe das, weil ich es nicht länger in mir einschließen will. Weil ich nicht mehr schweigen möchte, nur weil der Raum keine Sprache für meinen Schmerz kennt.

Es wird wieder passieren. Nicht nur mir. Anderen Frauen. Immer wieder. Und jedes Mal wird jemand sagen: „Missverständnis“. „Übers Ziel hinausgeschossen“. „Bedauerlich“. Und jedes Mal wird jemand hoffen, dass wir es leise ertragen. Dass wir es schlucken.

Aber ich bin hier. Nicht geheilt. Nicht stark. Aber wach.

Und wenn ich schon mit dieser Scham leben muss, dann soll sie wenigstens nicht mehr unsichtbar sein. Dann soll wenigstens klar sein:
Ich war nicht das Problem. Ich bin nicht das Problem.

Vielleicht liest das eine, die denkt: Ich dachte, ich bin allein mit diesem Gefühl.
Du bist es nicht. Und vielleicht reicht das für heute.

Ob das alles strafrechtliche Konsequenzen haben wird? Das liegt bei der Staatsanwaltschaft. Eine Einstellung des Verfahrens wäre keine Überraschung. Aber eine weitere, tiefe Verletzung.

Sleepless

I wanna sleep without the falling,
dream without the fight.
Just one night without the running,
just one breath of quiet light.

I wanna sleep without the shadows,
dream without the weight.
One still night without the echoes,
a moment free from fate.

I wanna sleep without the drowning,
dream without the scream.
One short night without the chasing,
Just one hour without the dream.

I wanna sleep without resistance,
dream without a war.
One night that doesn’t hurt to enter,
no fear behind the door.

I wanna sleep without surrender,
dream and still survive.
One night, no brace for impact,
just breathe and feel alive.

I wanna heal without the hurting,
grow beyond the past.

I wanna rest without the breaking,
live without the fear.

Blick in die Glaskugel

Ein wunderschöner Maisonntag: Sonne, postkartenblauer Himmel und angenehm warm. Also nichts wie raus mit der Kamera – zusammen mit meiner neuen kleinen Glaskugel. Es ist tatsächlich nur eine ganz kleine, damit sie nicht so schwer ist, 6 cm Durchmesser. 10 Zentimeter finde ich eigentlich besser, aber das nutzt ja nichts, wenn die Kugel immer zuhause bleibt, weil sie mir zu schwer zum Herumschleppen ist.

Vom Elbbalkon zur Hubbrücke, unter die Hubbrücke zur Schaukel und wieder zurück – zack, waren drei Stunden rum.

Sollte ich wirklich wieder öfter machen.

Not yet spring

I thought the thaw had come at last,
the ice inside began to pass—
light cracked through branches overhead,
and I believed the storm had fled.

But shadows pooled behind my eyes,
like dusk that waits beneath disguise.
The ground gave way beneath my feet—
a quiet fall, a dark repeat.

I held my breath; the dark returned,
the lessons lost, the bridges burned.
I wept for healing half-complete,
for ghosts I thought I’d made retreat.

So here I sit inside the night,
still searching for a spark of light.
And though I fell, I still begin—
not from the start, but deep within.

Rückspiegel (6)

Die letzte Zeit im Rückspiegel: Alltagsbeobachtungen, Anekdoten, Gedanken, die in wenigen Zeilen erzählt sind oder mit einem Bild (oder vielen) ausgedrückt werden können.

Es ist hart

Letzte Woche habe ich endlich die Zeugenvernehmung hinter mich bringen können. Das war noch härter als befürchtet, vor allem, weil ich mich hinterher noch einmal komplett zerstört gefühlt habe.

Ich balanciere auf einem Hochseil und wünsche mir nichts sehnlicher als festen Boden unter den Füßen. Stattdessen schwingt das Seil unvorhersehbar, und es raubt mir meine ganze Kraft, dagegenzuhalten und nicht abzustürzen.

Aber es werden zunehmend mehr gute und weniger schlimme Tage.

Anfang des Monats war der Jahrestag meiner Ankunft in Magdeburg. Zwei Jahre bin ich schon/erst hier. Ich habe mir hier ein neues, gutes Leben aufgebaut, ich kann nach vorne sehen und ich lass mir das von niemanden kaputt machen. Und auch wenn ich immer noch auf dem Hochseil balanciere – ich habe ein Netz, dass mich auffängt, sollte ich fallen.

Zoobesuch

Ende März war ich zum ersten Mal im Magdeburger Zoo. Nun habe ich eine Jahreskarte und werde häufiger hinfahren „müssen“.

Trogbrücke (1)

Letztes Wochenende bin ich nach einem Termin am Ende der Welt über die Dörfer zurück nach Hause gefahren und mit der Rogätzer Fähre über die Elbe rüber. Das war nett, ebenso der Schipper. Nächster Zwischenstopp war das Wasserstraßenkreuz – da war ich tatsächlich zum ersten Mal. Besonderheit jetzt: die Trogbrücke ist trockengelegt, weil sie gewartet werden muss. Richtig dichte ran bin ich wegen der Absperrungen nicht gekommen, aber immerhin.

Trogbrücke (2)

Eigentlich war mir gestern mehr nach Verkriechen, aber das Wetter war so traumhaft, dass ich mich nachmittags doch aufs Rad geschwungen hab. Diesmal hab ich den Elberadweg Richtung Norden genommen – und mit jedem Kilometer (44 km waren es am Ende) habe ich mich besser gefühlt. Daran konnten auch die Trillionen von Insekten und die teils sehr düsteren, einsamen Abschnitte auf der Rückfahrt nichts ändern, auch wenn mir da doch ganz schön die Düse ging. Aber das tolle Licht, die Stimmung nicht nur an der Trogbrücke – das war es wert.

 

Koalition oder nicht, das ist hier die Frage

Ich darf mit darüber abstimmen, ob die SPD diese Koalition eingehen wird – oder nicht. Ich habe mich noch nicht entschieden, denn abgesehen von etlichen inhaltlichen Kröten, die zu schlucken wären, ist da noch die größte Kröte: der designierte Kanzler. Die Frage ist: was ist die Alternative? Es ist halt nicht so, dass ich mich hinsetzen könnte und an jeden Punkt ein Plus oder Minus setze und am Ende zusammenrechne, sondern das „was wäre wenn“ muss auch mit bedacht werden. Also werde ich in den nächsten Tagen noch viel lesen und diskutieren und nachdenken. Eine wichtige Frage ist: könnte es mit dieser Koalition gelingen, Menschen wieder in die gesellschaftliche Mitte zurückzuholen, so dass bei den nächsten Wahlen die #fckafd keine Rolle mehr spielt? Es bleibt jedenfalls das schale Gefühl, dass es hier keine wirklich richtige, gute Entscheidung gibt, sondern nur das kleinere Übel. Seufz.

Die Scham muss die Seite wechseln

… und die Angst

… die Schlaflosigkeit

… die dunklen Gedanken

All das muss auch die Seite wechseln.

 

Ich habe im Januar einen hohen Preis für meine Überzeugungen gezahlt. Ich habe einen politisch motivierten sexuellen Übergriff überlebt.

Ich kann meinen Alltag bewältigen, aber nachts kommen die Dämonen. Ich habe seine Worte im Ohr, fühle ihn wieder an und in meinem Körper.

Schockstarre. Angst.

Ich bin stark und schwach zugleich.

Stark, weil ich mich jetzt wehre.
Schwach, weil ich mich erst jetzt wehre, weil ich in der Situation selbst eingefroren bin.  Schwach,  weil es meine ganze Kraft kostet, mich gegen die dunklen Gedanken zu wehren. Schwach, weil mich Kleinigkeiten triggern.

Stark, weil ich mich trotzdem wehre – was ich in der Situation selbst nicht konnte. Schwach, weil die Erfolgsaussichten gering sind – da wird Aussage gegen Aussage stehen.

Ich schäme mich. Weil ich mich nicht wehren konnte. Eingefroren bin, auf Autopilot gegangen bin.

Aber jetzt wehre ich mich. Versuche, die Kontrolle zurückzugewinnen. Wird die Scham damit die Seite wechseln? Wird er sich nun schämen? Angst haben? Unter Schlaflosigkeit leiden? Sich mit dunklen Gedanken plagen?

Ich will mein Leben zurück. Ich will nicht mehr schwach sein. Es fühlt sich jetzt gut und richtig an, dass ich mich wehre. Aber was wird es mit mir machen, wenn ich den Kampf vor der Justiz verliere?

Sie läuft über Wasser, sie läuft über GlasSie jagt den größten Drachen, der sie beinah fraß, jaSie kommt aus der Hölle, ihr Schwert in der HandVor Drachen und Feuer hat sie keine AngstHat sie keine Angst

Schön wie die NachtKämpft sie durch die DunkelheitMit aller KraftHat sie Wunden selbst geheilt

Ihre Augen leuchten wie die GlutUnd in ihren Venen fließt Drachenblut, drum laufDenn sie gibt niemals auf

Sendet mir bitte Kraft, damit ich wirklich niemals aufgebe.