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Ich will nicht Eure Tochter sein

Über Männergewalt, Rassismus und politische Heuchelei.

Nicht unsere Töchter. Sondern eure Doppelmoral.

In diesen Tagen wird wieder über „Sicherheit“ gesprochen. Über „Probleme im Stadtbild“, über „unsere Töchter“. Und über die Frage, wer angeblich dazugehört – und wer nicht.

Mir wird schlecht davon. Denn im Gegensatz zu den Männern, die jetzt so daherreden, weiß ich, wie es ist. Ich bin eine Tochter, der das an die Wand gemalte Schreckensszenario vor vielen Jahren passiert ist. Aber ich bin nicht zur Rassistin geworden. Und ich möchte nicht zu einem Argument in einer politischen Debatte degradiert und erneut benutzt werden.

Ich habe sexualisierte Gewalt erlebt. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn ein Leben plötzlich in „davor“ und „danach“ zerfällt.

Und genau deshalb kann ich nicht schweigen, wenn meine Erfahrung jetzt für politische Propaganda herhalten soll.

Ich verweigere mich dem Missbrauch meiner Geschichte für rassistische Politik und der Verharmlosung von Gewalt.

Der Kanzler spricht von „Problemen im Stadtbild“, von Gefahren, die „unsere Töchter“ bedrohen. Rechte und Rechtspopulisten greifen solche Aussagen mit gieriger Selbstbestätigung auf. Endlich, sagen sie, redet jemand, wie sie reden.

Aber sie reden nicht über Gewalt. Sie reden über Herkunft.

Sie reden nicht über Schutz. Sie reden über Kontrolle.

Das Problem sind Männer, nicht Migration

Männer, die Frauen vergewaltigen, misshandeln oder töten, gibt es in allen Schichten, Nationalitäten und Religionen.

Das verbindende Element ist nicht die Herkunft, sondern die Haltung: ein Männlichkeitsbild, das Besitz, Macht und Gewalt legitimiert.

Wenn Politiker*innen Kriminalität auf Nationalität reduzieren oder am „Stadtbild“ festmachen, verhindern sie echte Lösungen und es trifft am Ende meist die Falschen: Menschen, die selbst gefährdet sind, marginalisiert werden oder ein Leben in Sicherheit suchen. Und dabei bleibt das eigentliche Problem unangetastet: patriarchale Gewalt.

Wer wirklich Sicherheit schaffen will, muss bei Prävention, Aufklärung, konsequenter Strafverfolgung und Täterarbeit anfangen – nicht bei rassistischer Stimmungsmache.

Die falschen Beschützer

Und dann sind da die, die plötzlich so laut „unsere Töchter“ rufen. Rechtspopulisten, Rechtsextreme, rechte Kommentatoren, konservative Empörungsprediger.

Sie behaupten, Frauen schützen zu wollen, während sie gleichzeitig jede feministische Politik bekämpfen.

Das sind dieselben, die linken Frauen, Feministinnen, Journalistinnen und Aktivistinnen in der Anonymität des Netzes mit Vergewaltigung drohen, sobald sie widersprechen. Wer so agiert und gleichzeitig migrantische Männer pauschal zu Tätern erklärt, kämpft nicht gegen Gewalt, er kämpft gegen Gleichstellung.

Diese Männer verteidigen nicht Frauen, sie verteidigen ihre Macht über Frauen. Wer Frauenrechte gegen Menschenrechte ausspielt, hat beides nicht verstanden.

Und wer Betroffene instrumentalisiert, um Rassismus zu normalisieren, macht sich mitschuldig an einem Klima der Angst und der Unsicherheit.

Ich will Sicherheit, nicht Scheinheiligkeit

Ich will, dass wir über Gewalt reden. Ich wünsche mir eine Debatte, die Betroffene schützt, anstatt sie zu instrumentalisieren. Ich will, dass Täter Verantwortung tragen, egal wo sie herkommen. Ich will, dass Betroffene ernst genommen werden, ohne dass ihr Leid für Parolen missbraucht wird. Ich will, dass Mädchen und Frauen sicher leben können, in jeder Straße, in jedem Viertel, in jedem Land. Sicherheit für Frauen wurde jedenfalls noch nie durch Rassismus geschaffen.

Wir brauchen eine Politik, die Frauen wirklich schützt: mit verlässlicher Finanzierung von Frauenhäusern, mit Aufklärung, mit Schutzkonzepten in Polizei und Justiz, mit sexualpädagogischer Bildung in Schulen, mit Städtebau, der ohne Angsträume auskommt.

Sicherheit entsteht nicht durch Parolen, sondern durch Strukturen.

Und wenn wir über Männergewalt reden, müssen wir auch über Männer reden. Über Erziehung, Vorbilder, Sprache. Über das, was Jungen lernen, wenn sie lernen, stark zu sein. Es reicht nicht, Täter zu bestrafen – wir müssen verhindern, dass sie zu Tätern werden.

Nicht die Nationalität hat mich verletzt. Männer haben mich verletzt. Männergewalt ist das Problem.

Ich will nicht eure Tochter sein, weil eure angebliche Angst uns nicht schützt, sondern fesselt.

Es. Tut. Weh.

Ich habe einen Sieg errungen, der sich anfühlt wie eine Niederlage. Der Täter wird Konsequenzen tragen müssen – welche genau, werde ich nie erfahren. Ich halte ein Schreiben in den Händen. Darin steht: „übers Ziel hinausgeschossen“. Und: „Er bedaure“. Die Formulierungen zerreißen mich innerlich.

Das ist, was bleibt. Ein lapidares „Upsi“, während mein Leben in Trümmern liegt. Ich sitze hier mit zitternden Händen, Herzrasen und Bildern im Kopf, die nicht verschwinden wollen. „Übers Ziel hinausgeschossen“, sagt er – dabei war es Grenzüberschreitung. Übergriffigkeit. Machtmissbrauch. Missbrauch.

Aber ja: Das Verhalten wird – wie auch immer – geahndet. Ich habe also „gewonnen“. Irgendwie. Doch die Wahrheit ist: Ich hatte von Anfang an verloren.

Der eigentliche Verlust begann viel früher. In dem Moment, in dem mein Körper nicht mehr mir gehörte. In dem mein Kopf nur noch Flucht plante, ich aber eingefroren bin. Überlebt habe ich irgendwie – neben mir stehend.

Heute habe ich eine Diagnose: PTBS. Ich gehe mit Pfefferspray durch Tag und Nacht. Ich zucke bei Geräuschen zusammen. Ich kann Menschen nicht mehr trauen. Ich fühle mich selten sicher – nicht einmal in meinem eigenen Körper. Und selbst wenn ich mich doch mal sicher fühle, triggert irgendetwas ganz Banales. Mein Nervensystem weigert sich, zur Ruhe zu kommen. Ich habe gelernt, meine Angst zu tarnen, damit niemand sieht, wie kaputt ich bin.

Ich habe gehofft, dass es etwas verändert, wenn ich spreche. Dass sich etwas bewegt, wenn ich den Mut finde, nicht nur zu erleiden, sondern zu benennen. Doch dann kam der Brief. Und da stand nicht Gerechtigkeit. Da stand nicht Anerkennung. Da stand: „Er bedaure“. Da stand: „schwierig“. Da stand sinngemäß: Ups.

Ich könnte schreien. Stattdessen: Schmerz. Ohnmacht. Ich wünschte, ich könnte das herausschreien.

Wie soll ich nun reagieren auf eine Welt, die mich so beiläufig abtut? Wie soll ich weiterleben in einem Körper, der dauernd Alarm schlägt, während das System Akten schließt? Das System schützt sich selbst. Nicht mich.

Ich bin müde. Nicht nur von den Nächten, in denen ich nicht schlafen kann. Sondern von der Dauer dieser Unsicherheit. Der Einsamkeit. Der ständigen Frage: Bin ich zu empfindlich? Und ich weiß: Diese Frage ist nicht meine. Sie wurde mir vom System aufgeladen. Müsste es jetzt nicht so langsam mal gut sein? Ich wünschte, das wäre so. Wenn ich das beschließen könnte: sofort. Zack, alles wieder gut. Aber so funktioniert das nicht.

Was bleibt: Keine Antworten. Keine Heilung. Nur Narben.

Dieser Brief, der irgendwie Gerechtigkeit bedeuten soll, reißt in mir alles noch einmal auf. Er macht auf schmerzhafte Weise klar: Selbst wenn man alles „richtig“ macht, bleibt man zurück – mit Schmerz, mit Misstrauen, mit einem Leben, das nie wieder wird wie vorher. Ich habe keine Gerechtigkeit erlebt. Ich habe einen Verwaltungsakt erlebt. Einen, der mir formal Recht gibt, aber menschlich alles falsch macht. Der sagt: Ja, das war nicht in Ordnung. Und gleichzeitig: Aber auch nicht schlimm genug, um es beim Namen zu nennen.

Was bleibt, bin ich. Mit einem zerschlagenen Sicherheitsgefühl. Mit einem Körper, der sich fremd anfühlt. Mit einem Leben, das nicht wieder leicht geworden ist. Die Scham ist nicht gegangen. Sie ist nur tiefer reingekrochen.

Trotzdem sprechen. Trotzdem da sein. Ich schreibe das nicht, weil ich abgeschlossen habe. Ich schreibe das, weil ich es nicht länger in mir einschließen will. Weil ich nicht mehr schweigen möchte, nur weil der Raum keine Sprache für meinen Schmerz kennt.

Es wird wieder passieren. Nicht nur mir. Anderen Frauen. Immer wieder. Und jedes Mal wird jemand sagen: „Missverständnis“. „Übers Ziel hinausgeschossen“. „Bedauerlich“. Und jedes Mal wird jemand hoffen, dass wir es leise ertragen. Dass wir es schlucken.

Aber ich bin hier. Nicht geheilt. Nicht stark. Aber wach.

Und wenn ich schon mit dieser Scham leben muss, dann soll sie wenigstens nicht mehr unsichtbar sein. Dann soll wenigstens klar sein:
Ich war nicht das Problem. Ich bin nicht das Problem.

Vielleicht liest das eine, die denkt: Ich dachte, ich bin allein mit diesem Gefühl.
Du bist es nicht. Und vielleicht reicht das für heute.

Ob das alles strafrechtliche Konsequenzen haben wird? Das liegt bei der Staatsanwaltschaft. Eine Einstellung des Verfahrens wäre keine Überraschung. Aber eine weitere, tiefe Verletzung.